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20.09.2011 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Witwenpension gem § 264 ASVG – krankheitsbedingte Verminderung des Einkommens des Verstorbenen (Abs 4 2. Satz) und zur Frage, wann die Verminderung erstmals eingetreten sein muss

§ 264 Abs 4 ASVG idF des SVÄG 2006 ist so zu verstehen, dass dann, wenn sich das Einkommen des Verstorbenen in den letzten beiden Kalenderjahren vor dem Tod infolge Krankheit oder Arbeitslosigkeit vermindert hat, der Durchschnitt des monatlichen Einkommens des Verstorbenen während der letzten vier Jahre vor dem Tod herangezogen werden kann, sofern dies für die (den) Witwe(r) günstiger ist


Schlagworte: Allgemeines Sozialversicherungsrecht, Pensionsversicherung, Hinterbliebenenpension, krankheitsbedingte Verminderung des Einkommens des Verstorbenen
Gesetze:

§ 264 ASVG

GZ 10 ObS 56/11z [1], 21.07.2011

 

In ihrer Klage begehrt die Klägerin die Leistung einer Hinterbliebenenpension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 4. 2009. Sie bringt vor, unter Heranziehung der richtigen Bemessungsgrundlagen und Zeiträume wäre ein monatlicher Pensionsanspruch von zumindest 550 EUR zuzuerkennen gewesen. Die ihrem (verstorbenen) Ehemann ab 1. 3. 2006 zuerkannte Berufsunfähigkeitspension sei auf eine krankheitsbedingte Einschränkung zurückzuführen. Da es durch Krankheit zur Verminderung seines Einkommens gekommen sei, wären zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage gem § 264 Abs 4 2. Satz ASVG die letzten vier Kalenderjahre, geteilt durch 48, heranzuziehen.

 

OGH: Mit dem SVÄG 2006, BGBl I 2006/130, wurde § 264 Abs 4 ASVG um eine Regelung ergänzt, nach der als Berechnungsgrundlage für den Verstorbenen dessen Einkommen der letzten vier Kalenderjahre vor dem Zeitpunkt des Todes, geteilt durch 48, heranzuziehen ist, wenn die Verminderung des Einkommens in den letzten beiden Kalenderjahren vor dem Tod des Versicherten auf Krankheit oder Arbeitslosigkeit zurückzuführen ist oder in dieser Zeit die selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit wegen Krankheit, Gebrechen oder Schwäche eingeschränkt wurde und dies für die Witwe günstiger ist.

 

Mit Erkenntnis vom 11. 3. 2010, G 228/09, wies der VfGH den Antrag, § 264 Abs 3 und 4 ASVG idF BGBl I 2006/130 aufzuheben, ab. Er begründete dies im Wesentlichen damit, dass die Rahmenzeiträume von zwei oder vier Jahren iVm dem vorgesehenen Günstigkeitsprinzip eine größere Anzahl von „Härtefällen“ zulasse, als dies bei einer längeren Frist der Fall wäre, weil es mit jeder Verlängerung der Frist ebenso denkbar sei, dass gerade damit Einkommenssituationen in die Betrachtung einbezogen werden, die für den Anspruch auf eine Witwen(er)pension ebenso ungünstig seien. Dem Gesetzgeber müsse daher zugebilligt werden, dass angesichts der potentiellen Vielfalt der Lebenssachverhalte keine Grenzziehung geeignet sei, Härtefälle zur Gänze zu vermeiden.

 

Zu der hier interessierenden Frage der Auslegung des § 264 Abs 4 ASVG ergibt sich aus dem Erkenntnis des VfGH, dass die Höhe der Hinterbliebenenpension des Ehegatten durch einen Vergleich des durchschnittlichen monatlichen Einkommens der beiden Ehegatten während der beiden letzten Kalenderjahre vor dem Tod ermittelt werde (§ 264 Abs 3 und 4 ASVG). Sei in diesem Zeitraum beim verstorbenen Ehegatten eine Verminderung des Einkommens auf Krankheit oder Arbeitslosigkeit zurückzuführen, werde - wenn es für die hinterbliebene Person günstiger sei - der Durchschnitt seines monatlichen Einkommens während der letzten vier Jahre vor dem Tod herangezogen. Der Gesetzgeber habe im Falle der Verminderung des Einkommens durch Krankheit und Arbeitslosigkeit während des Beobachtungszeitraums der letzten beiden Kalenderjahre somit nunmehr einen Betrachtungszeitraum von vier Jahren vorgesehen, wenn dieser günstiger sei. Weiters führte der VfGH im Erkenntnis G 228/09 aus, der Gesetzgeber habe der Gefahr, dass die für die Berechnung der Witwenpension maßgeblichen Einkünfte während der Jahre vor dem Tod besonders stark von jenen Einkommensverhältnissen des Verstorbenen abweichen, welche für die Lebensführung der Eheleute über lange Zeiträume hinweg bestimmend gewesen seien, dadurch zu begegnen versucht, dass er im Falle der Verminderung des Einkommens durch Krankheit und Arbeitslosigkeit während des Betrachtungszeitraums der letzten beiden Kalenderjahre einen Betrachtungszeitraum von vier Jahren vorsehe, wenn dies günstiger sei.

 

Die von der Revisionswerberin vorgetragenen Argumente geben keinen Grund dafür ab, von jenem Verständnis des § 264 Abs 4 ASVG abzugehen, das bereits vom VfGH und in der Literatur vertreten wird:

 

Die Witwen(er)pension soll den Unterhaltsausfall ausgleichen, der in einer partnerschaftlichen Ehe durch den Tod eines Ehepartners entsteht. Es ist also nicht auf den höchsten während des Bestandes der Ehe erzielten, sondern auf den zuletzt erworbenen Lebensstandard abzustellen. Es ist demnach nicht Aufgabe der Hinterbliebenenpension, einen einmal erreichten und später wieder verloren gegangenen Lebensstandard wiederherzustellen. Aus diesem Zweck der Witwen(er)pension ergibt sich, dass einer beliebigen Ausdehnung des einschlägigen Beobachtungszeitraums Grenzen gesetzt sind.

 

Wenngleich der Wortlaut des § 264 Abs 4 2. Satz ASVG offen lässt, zu welchem Zeitpunkt der Grund für die Verminderung des Einkommens (Krankheit oder Arbeitslosigkeit) eingetreten sein muss, ist diese Regelung so zu verstehen, dass die negativen Auswirkungen der Krankheit oder Arbeitslosigkeit auf das Einkommen im Zeitraum von zwei Kalenderjahren vor dem Tod des Versicherten eingetreten sein müssen, es also zur Verminderung des Einkommens infolge Krankheit oder Arbeitslosigkeit im Zeitraum von zwei Kalenderjahren vor dem Tod des Versicherten gekommen sein muss. Für dieses Auslegungsergebnis spricht neben dem Bedeutungszusammenhang sowohl die Entstehungsgeschichte als auch der Zweck der Regelung. Wie sich auch aus der Regierungsvorlage ergibt, sollte durch die Novelle (lediglich) eine der beiden maßgeblichen Berechnungsgrundlagen (§ 264 Abs 2 ASVG), nämlich jene des (der) Verstorbenen in Fällen einer durch Krankheit oder Arbeitslosigkeit bedingten Verminderung des Einkommens auf einen vierjährigen Beobachtungszeitraum „umgestellt“ werden, ohne dass vom Grundprinzip der Heranziehung des zweijährigen Beobachtungszeitraums für die Verminderung des Einkommens abgewichen werden sollte. Der Gesetzgeber des SVÄG 2006 hat daher trotz Kritik am zweijährigen Beobachtungszeitraum für die Verminderung des Einkommens festgehalten. Um den weiterhin vorkommenden Härtefällen doch möglichst zu begegnen, schuf er die ergänzende Möglichkeit, (ausnahmsweise) den bis dahin in allen Fällen zweijährigen Beobachtungszeitraum für die Berechnungsgrundlage des Einkommens des (der) Verstorbenen auf einen vierjährigen Beobachtungszeitraum zu erstrecken, wenn es innerhalb der letzten zwei Kalenderjahre vor dem Tod zu einer Verminderung dessen Einkommens infolge Krankheit oder Arbeitslosigkeit gekommen ist.