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04.10.2011 Verfahrensrecht

OGH: Zur Frage, nach welchen Kriterien eine Partei als der deutschen Sprache nicht kundig iSd § 63 Abs 1 NO anzusehen ist

Nach dem Schutzzweck des § 63 NO ist entscheidend, ob die betreffende Person der Vorlesung des Notariatsakts so weit folgen kann, dass ihr eine Genehmigung möglich ist; es kommt für die Notwendigkeit, einen Dolmetscher beizuziehen, nicht auf das Erkennen oder die Erkennbarkeit der Sprachkunde der betreffenden Person durch den Notar ex ante an


Schlagworte: Notar, Notariatsakt, der deutschen Sprache nicht kundig, Erkennbarkeit, Dolmetscher
Gesetze:

§ 63 NO

GZ 6 Ob 49/11s [1], 14.09.2011

 

OGH: Zur Frage, wann eine Person der Sprache des Notariatsakts „nicht kundig“ iSd § 63 Abs 1 NO ist, teilt der OGH die insoweit übereinstimmenden Auffassungen von Wagner/Knechtel sowie des Berufungsgerichts. Danach kann die Frage nicht generell beantwortet werden, sondern es kommt auf den konkreten Gegenstand des Notariatsakts an. Nach dem Schutzzweck des § 63 NO ist entscheidend, ob die betreffende Person der Vorlesung des Notariatsakts so weit folgen kann, dass ihr eine Genehmigung möglich ist.

 

Zur Frage, aus welcher Sicht (ex ante oder ex post; aus Sicht des Notars oder nach objektiven Kriterien) die mangelnde Sprachkundigkeit einer Partei iSd § 63 Abs 1 NO zu beurteilen ist, wurde Folgendes erwogen:

 

Der Gesetzeswortlaut von § 63 Abs 1 NO ist insoweit eindeutig, als er für die Notwendigkeit, einen Dolmetscher beizuziehen, auf keinerlei subjektiven Kriterien ex ante abstellt. Es kommt also für die Notwendigkeit, einen Dolmetscher beizuziehen, und somit für die Wirksamkeit des Notariatsakts (§ 66 NO), nicht auf das Erkennen oder die Erkennbarkeit der Sprachkunde der betreffenden Person durch den Notar ex ante an. Eine ausreichende Prüfung der Sprachkenntnisse durch den Notar (für die aufgrund der Einzelfallbezogenheit keine generellen Maßstäbe aufgestellt werden können), die diesem den Eindruck verschafft, die Person sei der betreffenden Sprache „hinreichend“ mächtig, indiziert aber, dass die Person der Sprache „kundig“ ist. Dennoch steht auch in diesem Fall der betreffenden Person die die Unwirksamkeit des Notariatsakts nach sich ziehende Beweisführung offen, entgegen dem begründeten Eindruck des Notars der Sprache nicht (hinreichend) kundig gewesen zu sein.

 

Ungeachtet dessen, dass iSd berufungsgerichtlichen Ausführungen hier der Notar die Sprachkenntnisse des Klägers nicht ausreichend geprüft hat, ergibt sich daher im vorliegenden Fall die nicht ausreichende Sprachkenntnis des Klägers schon aus der Feststellung, er habe die im Notariatsakt enthaltene Rechtsbelehrung über die Haftung für die offene Stammeinlage nicht verstanden.

 

Die Revisionswerber meinen, Normzweck von § 63 Abs 1 NO sei nur der Schutz der sprachunkundigen Partei vor Übervorteilung. Eine solche Übervorteilung liege nicht schon dann vor, wenn die Vertragspartei aufgrund ihrer schlechten Sprachkenntnisse der Verlesung des Notariatsakts nicht folgen könne.

 

Dem kann nicht gefolgt werden: § 63 Abs 1 NO dient nämlich nach zutreffender Auffassung nicht nur dem Schutz des der Sprache nicht hinreichend Kundigen, sondern dem Schutz aller Parteien. Überdies bezweckt § 63 NO - ähnlich wie § 52 NO - auch den Schutz der Allgemeinheit durch die Form der öffentlichen Urkunde.