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11.10.2011 Zivilrecht

OGH: Verkehrssicherungspflicht iZm unbefugtem Eindringen in Fremdbereich

Besteht die Möglichkeit, dass Personen versehentlich in den Gefahrenbereich gelangen, oder dass Kinder und andere Personen, die nicht die nötige Einsichtsfähigkeit haben, um sich selbst vor Schaden zu bewahren, gefährdet werden, oder besteht eine ganz unerwartete oder große Gefährdung, so kann eine Interessenabwägung ergeben, dass der Inhaber der Gefahrenquelle zumutbare Maßnahmen zur Vermeidung von Schädigungen zu ergreifen hat


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Verkehrssicherungspflicht, unbefugtes Eindringen in fremden Bereich
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB

GZ 10 Ob 55/11b [1], 30.08.2011

 

OGH: Verkehrssicherungspflichten treffen auch denjenigen, in dessen Sphäre gefährliche Zustände bestehen. Hier folgt die Verpflichtung zur Beseitigung aus der Zusammengehörigkeit von Verantwortung und Bestimmungsgewalt. Wer demnach eine Gefahrenquelle schafft oder bestehen lässt, muss die notwendigen und ihm zumutbaren Vorkehrungen treffen, um eine Schädigung anderer nach Tunlichkeit abzuwenden.

 

Die Verkehrssicherungspflicht entfällt nicht schon dann, wenn jemand unbefugt in einen fremden Bereich eingedrungen ist. Grundsätzlich wird zwar jemand nicht für schutzwürdig erachtet werden können, der sich unbefugt in den Gefahrenbereich begeben hat, weil er nicht damit rechnen kann, dass Schutzmaßnahmen zugunsten unbefugt Eindringender getroffen werden. Besteht jedoch die Möglichkeit, dass Personen versehentlich in den Gefahrenbereich gelangen, oder dass Kinder und andere Personen, die nicht die nötige Einsichtsfähigkeit haben, um sich selbst vor Schaden zu bewahren, gefährdet werden, oder besteht eine ganz unerwartete oder große Gefährdung, so kann eine Interessenabwägung ergeben, dass der Inhaber der Gefahrenquelle dennoch zumutbare Maßnahmen zur Vermeidung von Schädigungen zu ergreifen hat.

 

Jedenfalls verpflichtet die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht aber nur bei Verschulden zum Schadenersatz. Für das Verschulden reicht es aus, dass der Verletzer die Möglichkeit einer Beeinträchtigung der betreffenden Art im Allgemeinen hätte erkennen müssen. Nicht erforderlich ist hingegen, dass der Schadenseintritt für ihn voraussehbar war.

 

Die Vorinstanzen gingen davon aus, die Möglichkeit der Verletzung von Rechtsgütern Dritter sei für den Zweitbeklagten bei objektiver sachkundiger Betrachtung nicht zu erkennen gewesen, weil er nicht ernsthaft damit rechnen habe müssen, dass erwachsene Personen, die nicht versehentlich auf seine Liegenschaft geraten sind, dort eine nächtliche Verfolgungsjagd beginnen und dabei infolge des plötzlichen Wechsels von Hell zu Dunkel über eine Stützmauer einer baubehördlich genehmigten Lagerhalle stürzen könnten. Die Ansicht steht zudem mit der Rsp in Einklang, die Sorgfaltspflicht dürfe nicht überspannt werden, weil ansonsten in Wahrheit eine vom Verschulden losgelöste Haftung begründet würde.