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25.10.2011 Zivilrecht

OGH: Vermindert ein den Nachlasspflichtteil übersteigender (übermäßiger) Vorempfang auch den Schenkungspflichtteil, wenn ein Noterbe sowohl Vorempfänge als auch Schenkungen erhalten hat?

Vorempfänge und Vorschüsse sind immer nur auf den Nachlasspflichtteil, nicht aber auf den Schenkungspflichtteil anzurechnen


Schlagworte: Erbrecht, Ermittlung des Pflichtteilsanspruchs, Nachlasspflichtteil, Schenkungspflichtteil, (übermäßige) Vorempfänge, Vorschüsse, Schenkung, Bewertung, Zinsen, Ausstattungsanspruch der Kinder
Gesetze:

§ 788 ABGB, § 789 ABGB, § 785 ABGB, § 787 ABGB, § 794 ABGB, § 1220 ABGB

GZ 2 Ob 186/10g [1], 29.09.2011

 

OGH: Die anrechenbaren Vorempfänge sind in § 788 ABGB aufgezählt. In dieser Bestimmung wurde ua das vom Erblasser seiner Tochter zu Lebzeiten gegebene Heiratsgut genannt. Darunter waren nach einhelliger Auffassung alle zur Versorgung der Tochter aus Anlass der Eheschließung und im Hinblick auf die Gründung eines eigenen Hausstands gegebenen Zuwendungen des Erblassers zu verstehen, gleichgültig, ob sie als Heiratsgut (ieS), Ausstattung oder Aussteuer bezeichnet wurden.

 

Durch das FamRÄG 2009 wurde der Ausstattungsanspruch der Kinder (unter Aufhebung der bis dahin in Geltung gestandenen §§ 1218 f und §§ 1224 bis 1232 ABGB) geschlechtsneutral in § 1220 ABGB geregelt. Gleichzeitig wurde § 788 ABGB an die Neuregelung angepasst. Da die Voraussetzungen des Anspruchs dieselben blieben, kann auch auf die bisherige LuRsp zu § 788 ABGB zurückgegriffen werden.

 

Vorempfänge sind anzurechnen, wenn dies bei Geltendmachung des Pflichtteils ein Noterbe oder der Erbe verlangt. Vor der Einantwortung muss dieses Verlangen auch der beklagten Verlassenschaft offen stehen. Die Beweislast für den Vorempfang trifft stets denjenigen, der die Anrechnung begehrt.

 

§ 794 ABGB regelt die Bewertung von beweglichen und unbeweglichen Sachen, die vom Erblasser als Vorempfang oder Schenkung gegeben wurden. Obwohl es an einer Bewertungsregel für Bargeldempfänge fehlt, sind nach LuRsp auch Vorausempfänge von Bargeld - sei es Vorempfang oder Schenkung - nach dem inneren Wert aufzuwerten, was in der Regel nach dem Lebenshaltungskostenindex zu geschehen hat. Wurde das bare Geld allerdings zur Anschaffung einer bestimmten Sache (Wohnung, Einrichtung, Kleidung, Fahrzeug) gegeben und hat der Empfänger die Sache auch ohne unnötigen Aufschub erworben, so werden die Regeln über die Bewertung der Sache und nicht jene über den Empfang des Geldes angewendet.

 

Zweck des Ausstattungsanspruchs ist eine angemessene Starthilfe bei der Gründung einer eigenen Familie durch das Kind. Die Ausstattung (das Heiratsgut) kann aber über die eigentliche Starthilfe (etwa zur Beschaffung einer Wohnung samt Einrichtung) hinausgehen, sofern nur die Zuwendung der Erleichterung der ehelichen Lebensführung dient.

 

Die widmungsgemäße Verwendung einer Ausstattung (des Heiratsguts) durch Anschaffung von Einrichtungsgegenständen, Hausrat und kurzlebigen Gütern mag zwar dem Regelfall entsprechen, im konkreten Fall liegen dazu aber weder Behauptungen noch Feststellungen vor. Die Beweislast für die zeitnahe tatsächliche Verwendung der erhaltenen Ausstattung iSd zu unterstellenden Widmung trifft jedoch die Erstklägerin, strebt diese doch eine von der grundsätzlich gebotenen Aufwertung eines Bargeldempfangs abweichende Lösung an. Dies folgt schon aus der allgemeinen Beweislastregel, wonach grundsätzlich jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu beweisen hat. Hat daher die beklagte Verlassenschaft den (ihr obliegenden) Beweis eines anrechnungspflichtigen Vorempfangs durch Zuwendung von Bargeld erbracht, so liegt es am Empfänger der Zuwendung, jene tatsächlichen Umstände zu behaupten und zu beweisen, aus denen eine Aufwertung zu unterbleiben hat. Indem die Erstklägerin den Erhalt der Zuwendung überhaupt bestritt, hat sie diesen Beweis nicht einmal angetreten.

 

Die Vorinstanzen haben daher die von der Erstklägerin entweder 1975 oder 1976 empfangene Ausstattung zutreffend auf den Zeitpunkt des Erbanfalls aufgewertet, wobei sich die Erstklägerin weder gegen die Berechnungsmethode noch das rechnerische Ergebnis wendet. Der folgenden Ermittlung des Pflichtteilsanspruchs der Erstklägerin ist demnach ein anrechnungspflichtiger Vorempfang im Wert von 10.360,24 EUR zugrunde zu legen.

 

Die Anrechnung von Vorempfängen auf den Pflichtteil erfolgt derart, dass die anrechnungspflichtigen Posten dem reinen Nachlass rechnerisch hinzugeschlagen werden. Von der Summe werden ziffernmäßig die Pflichtteile ermittelt und beim einzelnen Noterben wird sein eigener anrechnungspflichtiger Vorempfang abgezogen. Der Abzug erfolgt somit vom ganzen Nachlasspflichtteil und nicht bloß von der durch die Anrechnung bewirkten Erhöhung.

 

Bei der Ermittlung des Pflichtteilsanspruchs muss allerdings zwischen dem Nachlasspflichtteil und dem Schenkungspflichtteil unterschieden werden. Auch die Berücksichtigung einer Schenkung (§ 785 ABGB) erfolgt rechnerisch dadurch, dass ihr Wert (§ 794 ABGB) dem reinen Nachlass zugeschlagen und auf dieser Basis neuerlich der Pflichtteil ermittelt wird. Der Mehrbetrag, der sich im Vergleich zum Nachlasspflichtteil ergibt, ist der Schenkungspflichtteil oder die Pflichtteilserhöhung. Jeder Noterbe muss sich gem § 787 Abs 2 ABGB die ihm gemachte Schenkung nur auf die Pflichtteilserhöhung, also nicht auf den „ganzen“ Pflichtteil anrechnen lassen. Im Gegensatz dazu sind Vorempfänge (§ 788 ABGB) und Vorschüsse (§ 789 ABGB) auf den „ganzen“ bzw „gesamten“ Pflichtteil anzurechnen.

 

Hat ein Noterbe sowohl Vorempfänge als auch Schenkungen erhalten, kann sich die Frage stellen, ob ein den Nachlasspflichtteil übersteigender (übermäßiger) Vorempfang auch den Schenkungspflichtteil vermindert.

 

Welser interpretiert die - (auch) von ihm als reformbedürftig empfundene - aktuelle Rechtslage dahin, dass Vorempfänge immer nur auf den Nachlasspflichtteil, nicht aber auf den Schenkungspflichtteil anzurechnen seien. Seiner Ansicht nach müsse der Nachlasspflichtteil (auch unter Berücksichtigung der Vorempfänge) wegen der unterschiedlichen Folgen vom Schenkungspflichtteil getrennt behandelt werden. Während die Anrechnung von Schenkungen nur dem Pflichtteilsberechtigten nütze, könne jene von Vorempfängen auch zum Vorteil des Testamentserben sein. Bei Vorempfängen gebe es keine Rückerstattung, bei Schenkungen hingegen schon (§ 951 ABGB). Vorempfänge könnten nur Deszendenten erhalten, Schenkungen jede beliebige Person. Die Anrechnung von Vorempfängen sei in jedem Fall unbefristet möglich, anderes gelte bei bestimmten Beschenkten nach § 785 Abs 3 ABGB. Dieselbe Zuwendung könne nicht zugleich Vorempfang und Schenkung sein. Sei die Zuwendung bei § 788 ABGB in Anschlag zu bringen, so sei sie als Schenkung nicht zu berücksichtigen.

 

Den überzeugenden Argumenten Welsers ist zu folgen, zeigen sie doch die (trotz der bisherigen Reformbestrebungen nach wie vor) höchst unterschiedlichen Rechtsfolgen der Anrechnung von Vorempfängen bzw Vorschüssen und Schenkungen deutlich auf, die konsequenterweise auch die Anrechnung eines übermäßigen Vorempfangs auf den Schenkungspflichtteil verbieten. Welser ist darin beizupflichten, dass der - auch rechtshistorisch bedingten - Disharmonie der Anrechnungsregeln in wesentlichen Punkten „auch durch größte Auslegungskunst“ keine Abhilfe geschaffen werden kann. Für den vorliegenden Fall bedeutet das, dass entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts der den Nachlasspflichtteil übersteigende Vorempfang der Erstklägerin auf ihren Anspruch aus dem Schenkungspflichtteil nicht angerechnet werden kann.

 

Anders als die Anrechnung des Vorempfangs können die Schenkungsanrechnung gem § 785 Abs 1 ABGB nur pflichtteilsberechtigte Nachkommen in gerader Linie und der Ehegatte, nicht aber der Erbe (bzw die Verlassenschaft) begehren. Der Grund hiefür liegt darin, dass die Schenkungsanrechnung niemals zu einer Begünstigung des Erben führen kann. § 785 Abs 2 ABGB stellt für das Anrechnungsbegehren eines Kindes darauf ab, dass die Schenkung zu einem Zeitpunkt gemacht wurde, zu dem der Erblasser ein pflichtteilberechtigtes Kind hatte, während er dem Ehegatten das Anrechnungsrecht hinsichtlich jener Schenkungen einräumt, die während seiner Ehe mit dem Erblasser erfolgen. Voraussetzung für die Anrechnung auf Verlangen des Ehegatten ist daher, dass die Schenkung während aufrechter Ehe erfolgte und die Ehe im Zeitpunkt des Todes des Erblassers noch aufrecht ist. Der erhöhte Pflichtteilsanspruch ist im Prozessweg gegen den Nachlass bzw den Erben, allenfalls auch gegen den Beschenkten, durchzusetzen.

 

Ausgehend von diesen Kriterien kommt hier die vom Erstgericht erwogene Anrechnung von Schenkungen, welche die Erstklägerin und deren Bruder in den Jahren 1980 und 1981 vom Erblasser erhalten haben soll, schon mangels Verlangens eines hiezu Berechtigten nicht in Betracht. Abgesehen davon, dass die beklagte Verlassenschaft nicht zum Kreis der Anrechnungsberechtigten gehört, käme auch der Witwe im Hinblick auf die erst im Jahr 1992 erfolgte Eheschließung kein Anrechnungsrecht zu.

 

Nach hA ist auch bei unbeweglichen Sachen der Wert des Geschenks zum Zeitpunkt des Erbanfalls und nicht zum Zeitpunkt der Schenkung maßgeblich.

 

Für den Eintritt der Verzugsfolgen ist beim Schenkungspflichtteil auf das Begehren des Berechtigten auf Durchführung der Anrechnung abzustellen, weshalb hier der Erstklägerin Zinsen ab dem Tag der Klagsbehändigung gebühren.