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08.11.2011 Wirtschaftsrecht

OGH: Ausgleichsanspruch eines Handelsvertreters gem § 24 HVertrG bei Inanspruchnahme der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer?

Beim Kündigungsgrund des „Alters“ iSd § 24 Abs 3 Z 1 HVertrG geht es nicht um eine bestimmte Altersgrenze; entscheidend ist, dass dem Handelsvertreter eine Fortsetzung der Tätigkeit wegen seines Alters nicht mehr zugemutet werden kann; die Unzumutbarkeit der Fortsetzung wegen des Alters ist daran zu messen, ob die konkret vereinbarten Tätigkeiten in zumutbarer Weise weiter ausgeübt werden können oder nicht


Schlagworte: Handelsvertreterrecht, Ausgleichsanspruch, vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer, Kündigung, Unzumutbarkeit
Gesetze:

§ 24 HVertrG, § 253b ASVG aF

GZ 9 ObA 105/10x [1], 16.09.2011

 

OGH: Nach § 24 HVertrG gebührt dem Handelsvertreter unter den dort genannten Voraussetzungen ein angemessener Ausgleichsanspruch. Dieser Anspruch besteht allerdings gem § 24 Abs 3 Z 1 HVertrG ua dann nicht, wenn der Handelsvertreter das Vertretungsverhältnis gekündigt hat, es sei denn, dass dem Unternehmer zurechenbare Umstände, auch wenn sie keinen wichtigen Grund nach § 22 HVertrG darstellen, hiezu begründeten Anlass gegeben haben oder dem Handelsvertreter eine Fortsetzung seiner Tätigkeit wegen seines Alters oder wegen Krankheit oder Gebrechen nicht zugemutet werden kann.

 

Im Rekursverfahren geht es darum, ob bei der Eigenkündigung der Klägerin der Fall vorlag, dass der Klägerin eine Fortsetzung ihrer Tätigkeit für die Erstbeklagte wegen ihres Alters nicht mehr zugemutet werden konnte..

 

Die Erläuterungen der Regierungsvorlage zu § 24 HVertrG geben für die gegenständliche Frage nicht viel her, gehen aber immerhin davon aus, dass der „Begriff des Alters“ jedenfalls bei Erreichen des sozialversicherungsrechtlichen Pensionsalters erfüllt sein werde. Der Ausdruck „sozialversicherungsrechtliches Pensionsalter“ zielt augenscheinlich auf das „Regelpensionsalter“ gem § 253 Abs 1 ASVG ab. In dieser Bestimmung wird normiert, dass der Versicherte nach Vollendung des 65. Lebensjahres (Regelpensionsalter) bzw die Versicherte nach Vollendung des 60. Lebensjahres (Regelpensionsalter) Anspruch auf Alterspension hat, wenn die Wartezeit (§ 236 ASVG) erfüllt ist.

 

Die Klägerin befand sich bei Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses zur Erstbeklagten zum 30. 4. 2008 im 58. Lebensjahr; sie war somit noch etwas mehr als zwei Jahre von der Vollendung des Regelpensionsalters für Frauen gem § 253 Abs 1 ASVG entfernt. Dies schließt die Eigenkündigung „wegen des Alters“ der Klägerin nicht aus, denn § 24 Abs 3 Z 1 HVertrG spricht weder von „Pensionsalter“ noch von einem „Pensionsanspruch“, sondern nur von „Alter“, ohne dieses konkret zu beziffern. Auch die Gesetzesmaterialien zu § 24 HVertrG lassen durch die Formulierung, dass der Begriff des Alters „jedenfalls“ bei Erreichen des sozialversicherungsrechtlichen Pensionsalters erfüllt sein werde, anklingen, dass daneben auch noch andere Fälle denkbar sind. Dass aber mit „Alter“ nicht jegliches Alter (wie zB in § 17 GlBG), sondern typischerweise ein „höheres Lebensalter“ gemeint ist (vgl zB ausdrücklich in § 105 Abs 3b ArbVG), wird durch die Verknüpfung des Alters mit der mangelnden Zumutbarkeit der Fortsetzung der Tätigkeit ersichtlich. Beim Kündigungsgrund des „Alters“ iSd § 24 Abs 3 Z 1 HVertrG geht es aber nicht um eine bestimmte Altersgrenze. Entscheidend ist, dass dem Handelsvertreter eine Fortsetzung der Tätigkeit wegen seines Alters nicht mehr zugemutet werden kann.

 

§ 24 Abs 3 Z 1 HVertrG stellt nicht auf das Vorliegen eines Anspruchs des Handelsvertreters aus der Pensionsversicherung wegen des Alters ab. Die diesbezüglichen Überlegungen gehen daher fehl. Die Eigenkündigung eines Handelsvertreters bzw einer Handelsvertreterin „wegen eines Anspruchs auf eine Alterspension bei langer Versicherungsdauer“ begründet weder das Vorliegen einer Ausnahme, unter der jedenfalls ein Ausgleichsanspruch besteht, noch schließt es einen Ausgleichsanspruch aus. Gegenteiliges kann auch nicht der Entscheidung des Senats zu 9 ObA 2/04s entnommen werden. Die Annahme, der Tatbestand des § 24 Abs 3 Z 1 HVertrG sei laut dieser Entscheidung bereits erfüllt, wenn der Handelsvertreter Anspruch auf eine vorzeitige Alterspension wegen langer Versicherungsdauer habe, beruht auf einem offenbaren Missverständnis. Da die Alterspension bei langer Versicherungsdauer gem § 253b ASVG (aF) im Ergebnis ein höheres Lebensalter voraussetzt, erfüllen Handelsvertreter, die einen derartigen Pensionsanspruch haben, zwar die in § 24 Abs 3 Z 1 HVertrG normierte Voraussetzung des „Alters“. Sie müssen sich aber noch der Prüfung der mangelnden Zumutbarkeit der Fortsetzung des Vertreterverhältnisses wegen des Alters stellen. Die Inanspruchnahme einer Pension ist - anders als bei der Abfertigung nach § 23a Abs 1 Z 1 lit b bis e, Z 2 AngG - nicht Voraussetzung für die ausgleichsanspruchwahrende Kündigung eines Handelsvertreters wegen des Alters. Es kommt daher auch nicht darauf an, ob und wann ein Pensionsbescheid vorliegt.

 

Die Gesetzesmaterialien zu § 24 HVertrG sprechen nur vom „Begriff des Alters“, gehen aber offenbar davon aus, dass die Eigenkündigung bei Vorliegen des Regelpensionsalters jedenfalls die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Vertreterverhältnisses indiziert (arg „erfüllt“). Alle übrigen Fälle der Eigenkündigung „wegen des Alters“ müssen konkret darlegen, weshalb dem Handelsvertreter bzw der Handelsvertreterin wegen des Alters eine Fortsetzung der Tätigkeit nicht mehr zugemutet werden kann. Die Anführung der Gründe Alter, Krankheit oder Gebrechen in § 24 Abs 3 Z 1 HVertrG unterstreicht deren selbständige Bedeutung und Unabhängigkeit voneinander. Zur Kündigung wegen Krankheit hat der OGH bereits klargestellt, dass die Unzumutbarkeit der Fortsetzung wegen Krankheit daran zu messen ist, ob die konkret vereinbarten Tätigkeiten in zumutbarer Weise weiter ausgeübt werden können oder nicht. Es kommt also nicht auf eine generelle Erwerbsunfähigkeit als Handelsvertreter, sondern auf das konkrete Vertragsverhältnis an. Dies hat sinngemäß auch für die Kündigung des Handelsvertreters wegen seines Alters zu gelten. Auch in diesem Fall ist die Unzumutbarkeit der Fortsetzung wegen des Alters daran zu messen, ob die konkret vereinbarten Tätigkeiten in zumutbarer Weise weiter ausgeübt werden können oder nicht. Es kommt daher auch beim Alter nicht auf eine generelle Erwerbsunfähigkeit als Handelsvertreter, sondern auf das konkrete Vertragsverhältnis und die Umstände des Einzelfalls an. Bei der Beurteilung der Unzumutbarkeit der Fortsetzung wegen des Alters können zB Umstände wie das Ausmaß der Reisetätigkeit des Handelsvertreters, die Größe des Vertretungsgebiets und die Zahl der Kunden und Kundengespräche eine Rolle spielen, ohne dass eine Krankheit oder ein Gebrechen vorliegen müssen.