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22.11.2011 Zivilrecht

OGH: Verjährung von Unterhaltsansprüchen iSd § 140 ABGB – zur Frage der Verjährungshemmung gem § 1495 ABGB bei aufrechter gemeinsamer Obsorge

Die Frage, ob die Obsorge iSd § 1495 Satz 1 ABGB „andauert“, bezieht sich auf eine rechtliche Kategorie, nicht aber auf das tatsächliche Wahrnehmen der in § 144 ABGB aufgezählten Angelegenheiten; Vater und Mutter eines ehelichen Kindes kommt nun die Obsorge schon kraft Gesetzes zu und besteht so lange, als sie nicht - etwa in den in § 145 Abs 1 Satz 1 ABGB angeführten Fällen - verloren geht


Schlagworte: Familienrecht, Unterhalt, Verjährung, Hemmung, Obsorge
Gesetze:

§ 140 ABGB, § 1495 ABGB, § 144 ABGB, § 145 ABGB

GZ 1 Ob 201/11g [1], 13.10.2011

 

OGH: Unzutreffend ist die Interpretation von § 1495 Satz 1 ABGB durch den Revisionsrekurswerber, der die Auffassung vertritt, der vom Gesetz verwendete Ausdruck „andauern“ könne sich schon grammatikalisch nur auf die „faktische Ausübung der Obsorge“ beziehen, die er jedenfalls in der Zeit vom 1. 8. 2006 bis 16. 9. 2007 nicht wahrgenommen habe. Dabei verkennt der Vater offenbar bereits den Begriff der „Obsorge“, der in § 144 ABGB definiert ist. Danach haben die Eltern das mj Kind zu pflegen und zu erziehen, sein Vermögen zu verwalten und es in diesen sowie allen anderen Angelegenheiten zu vertreten. Die Obsorge stellt somit in erster Linie eine Pflicht der Elternteile dar, die allerdings auch die Ausübung gewisser Rechte beinhaltet. Wenn § 1495 ABGB nun davon spricht, dass zwischen Minderjährigen und den mit der Obsorge betrauten Personen die Verjährung weder angefangen noch fortgesetzt werden kann, solange „die Obsorge … andauert“, wird damit erkennbar darauf abgestellt, ob der betreffenden Person die in § 144 ABGB geregelte Obsorge-(pflicht) zukommt, ob ihn also im Verhältnis zum Kind die entsprechenden Pflichten treffen. Die Frage, ob die Obsorge iSd § 1495 Satz 1 ABGB „andauert“, bezieht sich somit auf eine rechtliche Kategorie, nicht aber auf das tatsächliche Wahrnehmen der in § 144 ABGB aufgezählten Angelegenheiten. Vater und Mutter eines ehelichen Kindes kommt nun die Obsorge schon kraft Gesetzes zu und besteht so lange, als sie nicht - etwa in den in § 145 Abs 1 Satz 1 ABGB angeführten Fällen - verloren geht.

 

In diesem Sinne wird auch judiziert, dass die Hemmung der Verjährung, insbesondere auch von Unterhaltsforderungen, zwischen dem Kind und einem Elternteil allein durch die Scheidung der Ehe der Eltern oder die Überlassung des Kindes in Pflege und Erziehung des anderen Elternteils nicht berührt wird. Die Hemmung der Verjährung nach § 1495 Satz 1 ABGB greift (nur) dann nicht ein, wenn dem schuldnerischen Elternteil die Obsorge zur Gänze fehlt; die Hemmung endet erst mit dem gänzlichen Ende des Obsorgerechts dieses Elternteils. Vergleichbares gilt auch für das Verhältnis zwischen Ehegatten, wo die Hemmung erst mit (rechtskräftiger) Eheauflösung endet.

 

Letztlich ist auch den Bedenken nicht zu folgen, es müsse das unbillige Ergebnis vermieden werden, das im Extremfall Unterhalt 19 (?) Jahre zurück begehrt werden könne, womit der Schuldnerschutz des § 1480 ABGB unbilligerweise ausgehöhlt würde. Jeder (gesetzlich) mit der Obsorge betrauten Person, insbesondere also einem Elternteil nach Trennung, steht es ja frei, bei Gericht den Antrag zu stellen, mit der Obsorge allein den anderen Elternteil zu betrauen, bei dem sich das Kind im Einvernehmen aufhält, sofern er sich nicht in der Lage sieht, in dieser Situation seinen Obsorgepflichten weiterhin zu entsprechen. Entschließt er sich allerdings dazu, die ihm gesetzlich zukommende Obsorge zu behalten, seinen damit verbundenen Pflichten aber nicht nachzukommen, kann er nicht verlangen, so behandelt zu werden, wie jemand, dem keine Obsorge mehr zukommt. Der § 1480 ABGB zugrunde liegende Schutzgedanke ist in den Fällen des § 1495 Satz 1 ABGB hinter die geschützten Interessen des Unterhaltsberechtigten zu stellen.