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22.11.2011 Zivilrecht

OGH: Besuchsrecht gem § 148 ABGB – Verkehrssicherungspflichten des Besuchsberechtigten?

Eine Beschränkung des Besuchsrechts iSd § 148 Abs 2 ABGB kommt nur dann in Betracht, wenn konkrete Umstände vorliegen, die eine Gefährdung der psychischen oder physischen Integrität des Kindes besorgen lassen


Schlagworte: Familienrecht, Besuchrecht, Einschränkung, Verkehrssicherungspflichten, Gefährdung des Kindeswohls
Gesetze:

§ 148 ABGB

GZ 1 Ob 179/11x [1], 13.10.2011

 

OGH: Das in § 148 Abs 1 ABGB normierte Recht des mj Kindes und des mit ihm nicht im gemeinsamen Haushalt lebenden Elternteiles, miteinander persönlich zu verkehren (Besuchsrecht), ist ein Grundrecht der Eltern-Kind-Beziehung und ein allgemein anerkanntes, unter dem Schutz des Art 8 EMRK stehendes Menschenrecht. Um den Zweck des Besuchsrechts zu erreichen, ist dem Besuchsberechtigten der Kontakt zu seinem Kind grundsätzlich unbeschränkt, dh ohne Beeinträchtigung durch Hinzuziehung weiterer Personen oder Bindung an bestimmte Örtlichkeiten zu gewähren und ihm die Möglichkeit einer individuellen Gestaltung der Besuche zu bieten.

 

Die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, inwieweit einem Elternteil unter Bedachtnahme auf dessen Persönlichkeit, Eigenschaften und Lebensumstände das Besuchsrecht eingeräumt werden soll, ist grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls abhängig.

 

Eine Beschränkung des Besuchsrechts iSd § 148 Abs 2 ABGB - hier, wie von der Revisionsrekurswerberin angestrebt, durch Auflagen über die Örtlichkeit, an der der persönliche Kontakt stattfinden soll - kommt nur dann in Betracht, wenn konkrete Umstände vorliegen, die eine Gefährdung der psychischen oder physischen Integrität des Kindes besorgen lassen. Dass das der Fall wäre, ergibt sich aus den Feststellungen der Vorinstanzen gerade nicht, weil es danach der Minderjährigen aufgrund der vom Vater getroffenen Maßnahmen nicht möglich ist, die von der Mutter angeführten Gefahrenquellen (Biotop im Garten und Treppe im Haus) selbständig zu erreichen. Damit fehlt es an einer konkreten Gefährdung des Kindeswohls durch die Ausübung des Besuchsrechts im Haus des Vaters. Soweit die Mutter dennoch die körperliche Integrität ihrer Tochter gefährdet sieht, setzt sie eine Vernachlässigung der den Vater bei der Ausübung des Besuchsrechts allgemein und unabhängig von der Örtlichkeit treffenden Aufsichtspflicht voraus, wofür aber weder dem Akteninhalt noch ihrem Vorbringen im Revisionsrekurs Anhaltspunkte entnommen werden können. Bloß abstrakte Befürchtungen des obsorgeberechtigten Elternteils rechtfertigen aber weder Einschränkungen noch Auflagen oder Verbote iZm der Ausübung des Besuchsrechts.

 

Da es bei der Ausübung des Besuchsrechts  nicht darauf ankommt, was dem Kindeswohl abstrakt entsprechen könnte, sondern darauf, was ihm nach der Lage des Einzelfalls tatsächlich entspricht, bedarf es auch keiner allgemeinen, nicht fallbezogenen Erörterung haftungsbegründender Gefahrvermeidungs- und Gefahrabwendungspflichten.