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29.11.2011 Zivilrecht

OGH: § 1311 ABGB – zur Beweislastverteilung bei der Verletzung von Schutznormen (hier: Vorrangverletzung)

Nach nunmehr stRsp des OGH trifft bei einer Schutzgesetzverletzung den Geschädigten die Beweislast für den Schadenseintritt und die Verletzung des Schutzgesetzes, wobei der Nachweis der Tatsache ausreichend ist, dass die Schutznorm objektiv übertreten wurde; der Schädiger hat dagegen zu beweisen, dass ihm die objektive Übertretung der Schutznorm nicht als schutzgesetzbezogenes Verhaltensunrecht anzulasten ist, etwa weil ihn an der Übertretung kein Verschulden traf


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Verletzung von Schutznormen, Beweislast, Straßenverkehrsrecht, Vorrangverletzung
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB, § 1311 ABGB, § 19 StVO

GZ 2 Ob 152/11h [1], 20.10.2011

 

OGH: Nach nunmehr stRsp des OGH trifft bei einer Schutzgesetzverletzung den Geschädigten die Beweislast für den Schadenseintritt und die Verletzung des Schutzgesetzes, wobei der Nachweis der Tatsache ausreichend ist, dass die Schutznorm objektiv übertreten wurde. Der Schädiger hat dagegen zu beweisen, dass ihm die objektive Übertretung der Schutznorm nicht als schutzgesetzbezogenes Verhaltensunrecht anzulasten ist, etwa weil ihn an der Übertretung kein Verschulden traf.

 

Stützt der Geschädigte seinen Schadenersatzanspruch auf eine Vorrangverletzung, so hat er den von der Schutznorm erfassten Tatbestand, also das Bestehen einer Vorrangsituation nachzuweisen. Dies setzt die Klärung der Frage voraus, welches Fahrzeug aus welcher Straße kam und in welchem Verhältnis die betreffenden Verkehrsflächen zueinander stehen. Da der Lenker des Beklagtenfahrzeugs aus einer Hausausfahrt (§ 19 Abs 6 StVO) kam und in die Fahrbahn einfuhr, ist der klagenden Partei der diesbezügliche Beweis gelungen.

 

Die Anwendung der Vorrangbestimmungen setzt die Wahrnehmbarkeit des anderen Fahrzeugs für den an und für sich Wartepflichtigen voraus. Nach der erörterten Beweislastverteilung lag es an der beklagten Partei, den Beweis dafür zu erbringen, dass das herannahende Klagsfahrzeug für den Lenker des Beklagtenfahrzeugs vor der Einfahrt in die bevorrangte Verkehrsfläche nicht wahrnehmbar war. Dieser Beweis ist der beklagten Partei nicht gelungen. Die insoweit verbliebenen Unklarheiten gehen - anders als vom Berufungsgericht angenommen - zu Lasten der beklagten Partei. Umstände, die auf fehlendes Verschulden des Lenkers des Beklagtenfahrzeugs hindeuten könnten, stehen ebenfalls nicht fest. Wie dies das Erstgericht völlig richtig erkannte, wäre daher von einer rechtswidrigen und schuldhaften Vorrangverletzung durch den Lenker des Beklagtenfahrzeugs auszugehen gewesen.

 

Die beklagte Partei hat auch den ihr obliegenden Beweis der Einhaltung einer überhöhten Geschwindigkeit durch den Lenker des Klagsfahrzeugs nicht erbracht. Auch die in diesem Punkt verbleibenden Unklarheiten gehen zu ihren Lasten. Nach den Feststellungen lag die Annäherungsgeschwindigkeit des Klagsfahrzeugs in einem Bereich zwischen 38 und 63 km/h. Der rechtlichen Beurteilung ist der geringste der innerhalb dieses Spielraums liegenden Geschwindigkeiten zugrunde zu legen. Das bedeutet, dass dem Lenker des Klagsfahrzeugs kein Mitverschulden anzulasten ist.