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13.12.2011 Zivilrecht

OGH: Rechtsschutzversicherung – zur Frage des Verstoßzeitpunkts (Art 2 Punkt 3. ARB 2007) bei unwirksamen Vertragsklauseln

Bei Vereinbarung von zufolge Intransparenz unwirksamen Vertragsklauseln ist schon mit dem Abschluss des Vertrags der Keim für spätere Auseinandersetzungen gelegt


Schlagworte: Versicherungsrecht, Rechtsschutzversicherung, Verstoß, Vorvertraglichkeit, Intransparenz, unwirksame Vertragsklauseln, Verstoßzeitpunkt
Gesetze:

Art 2 Punkt 3. der Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2007), § 6 Abs 3 KSchG

GZ 7 Ob 144/10t [1], 01.09.2010

 

Art 2 Punkt 3. der Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2007) lautet:

 

„In den übrigen Fällen gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften; der Versicherungsfall gilt in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen.

 

Bei mehreren Verstößen ist der erste, adäquat ursächliche Verstoß maßgeblich, wobei Verstöße, die länger als ein Jahr vor Versicherungsbeginn zurückliegen, für die Feststellung des Versicherungsfalls außer Betracht bleiben […].“

 

OGH: Nach stRsp bedarf es für den Eintritt des Versicherungsfalls nach Art 2 Punkt 3. der ARB 2007 (gleichlautende Bestimmungen fanden sich bereits in den ARB 1988, 1994 und 2005) eines gesetz- oder vertragswidrigen Verhaltens eines Beteiligten, das als solches nicht sofort oder ohne weiteres nach außen zu dringen braucht. Ein Verstoß ist ein tatsächlicher, objektiv feststellbarer Vorgang, der immer dann, wenn er wirklich vorliegt oder ernsthaft behauptet wird, den Keim eines Rechtskonflikts in sich trägt, der zur Aufwendung von Rechtskosten führen kann. Damit beginnt sich die vom Rechtsschutzversicherer übernommene Gefahr konkret zu verwirklichen. Es kommt nicht darauf an, ob der Handelnde sich des Verstoßes bewusst oder infolge von Fahrlässigkeit oder auch unverschuldet nicht bewusst war. Es soll sich um einen möglichst eindeutig bestimmbaren Vorgang handeln, der in seiner konfliktauslösenden Bedeutung für alle Beteiligten, wenn auch erst nachträglich, erkennbar ist. Es kommt weder auf den Zeitpunkt an, zu dem die Beteiligten von dem Verstoß Kenntnis erlangten, noch darauf, wann aufgrund des Verstoßes Ansprüche geltend gemacht oder abgewehrt werden.

 

Bei gleicher Bedingungs- und ganz vergleichbarer Rechtslage wird in Deutschland im Schrifttum und von der Rsp die Auffassung vertreten, im - hier vorliegenden - Fall, dass sich ein Versicherungsnehmer auf die Unwirksamkeit einer Klausel in einem Versicherungsvertrag beruft, liege der Versicherungsfall iSd zitierten Bestimmung der ARB im Abschluss des Vertrags bzw in der Vereinbarung der (angeblich) unwirksamen Klausel und nicht erst in der Ablehnung des geltend gemachten Anspruchs durch den Versicherer. Auch Prölss, der in Prölss/Martin VVG26 § 14 ARB 75 Rn 21 noch die Auffassung vertrat, die Vereinbarung eines nichtigen Vertrags oder einer nichtigen Klausel sei, wenn die Nichtigkeit nicht auf einer Missachtung gesetzlicher Vorschriften oder der guten Sitten oder des Gebots von Treu und Glauben beruhe, als solche kein Verstoß, hat sich bereits in der 27. Auflage der Gegenmeinung angeschlossen: Die Vereinbarung eines nichtigen Vertrags oder einer nichtigen Klausel sei bereits ein Verstoß, ohne dass der Handelnde sich der Nichtigkeit bewusst sein müsse.

 

Ausgehend von den eben wiedergegebenen, in stRsp vertretenen Grundsätzen, ist dieser in Deutschland hA entgegen der Meinung des Revisionsgegners und der Vorinstanzen beizupflichten: Die Bestimmung des Zeitpunkts des Versicherungsfalls im Rahmen der Rechtsschutzversicherung für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen (hier in Art 2.3. ARB 2007) soll vermeiden, dass die Rechtsschutzversicherung mit Kosten solcher Rechtskonflikte belastet wird, die bei Abschluss des Versicherungsvertrags bereits „die erste Stufe der konkreten Gefahrverwirklichung“ erreicht haben, also gewissermaßen „vorprogrammiert“ sind. Trifft ein anderer Versicherer (hier C*****) mit dem (später) Rechtsschutzversicherten im Rahmen des Versicherungsvertrags Vereinbarungen, die zufolge Intransparenz unwirksam sind, so ist schon mit dem Abschluss des Vertrags der Keim für spätere Auseinandersetzungen gelegt. Die Gefahr der Verursachung von Kosten der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung konkretisiert sich in solchen Fällen bereits mit der Einbeziehung der für unwirksam erachteten, für den Rechtsschutzversicherten belastenden Klausel. Durch den späteren Abschluss des Rechtsschutzversicherungsvertrags würde demnach ein Risiko gedeckt, das zuvor bereits eingetreten ist. Wollte man einem Versicherungsnehmer zugestehen, sich nachträglich Rechtsschutz für rechtliche Auseinandersetzungen um die Rechtswirksamkeit von Klauseln zu beschaffen, die das Leistungsversprechen des Versicherers im Rahmen des Versicherungsvertrags als Dauerschuldverhältnis betreffen, würde man ihm - jedenfalls nach seiner Rechtsauffassung - die Deckung bereits eingetretener Risiken zubilligen (vgl OLG Saarbrücken VersR 2000, 1536). Wie das OLG Saarbrücken in dieser Entscheidung weiters zutreffend erkennt, wird damit das Versprechen des Rechtsschutzversicherers, Deckung auch für rechtliche Auseinandersetzungen in bestehenden Dauerschuldverhältnissen zu gewähren, nicht inhaltsleer. Konflikte in Dauerschuldverhältnissen, die bei Abschluss des Rechtsschutzversicherungsvertrags schon bestanden haben, sind weiterhin versichert. Nur soweit ihr bestimmender Grund im Abschluss des Dauerschuldverhältnisses selbst liegt, sind sie von der Eintrittspflicht des Rechtsschutzversicherers ausgenommen.

 

Dass ein bereits „im Keim vorhandener“ Rechtskonflikt, der erst nach Abschluss des Rechtsschutzversicherungsvertrags aktualisiert wird, nach dem Wortlaut des Art 2 Punkt 3 ARB 2007 von der Versicherungsdeckung nicht umfasst ist, muss auch einem hinsichtlich der Auslegung von Versicherungsbedingungen die Maßfigur bildenden durchschnittlich versierten Versicherungsnehmer einsichtig sein. Auch wenn man unterstellt, dass dem Kläger bei Abschluss des Rechtsschutzversicherungsvertrags die nun von ihm behauptete Intransparenz von Bedingungen des Lebensversicherungsvertrags noch gar nicht bewusst war und daher von einem sog Zweckabschluss keine Rede sein kann, vermag dies die eben angestellten Erwägungen, die einer Deckungspflicht der Beklagten entgegenstehen, nicht zu widerlegen. Auch die vom Berufungsgericht ins Treffen geführten Umstände, dass die betreffende Vertragsbestimmung bei Intransparenz von vornherein als nicht vereinbart anzusehen wäre, der Konflikt erst durch das Ausüben eines Gestaltungsrechts durch den Kläger entstanden sei und der Kläger die Marktanpassung auch der Höhe nach bekämpft habe, vermögen an der Berechtigung des Einwands der Vorvertraglichkeit nichts zu ändern.