OGH > Zivilrecht
20.12.2011 Zivilrecht

OGH: Wohnrecht des Ehegatten gem § 97 ABGB – zur Frage, ob das von dem in der Wohnung verbliebenen Ehegatten bezogene Kinderbetreuungsgeld zu den finanziellen Mittel zu zählen ist, welche dem Anspruchswerber nach § 97 ABGB als zur Bestreitung der Wohnungserhaltungskosten zur Verfügung stehend zuzurechnen ist?

Es widerspricht dem Regelungszweck des § 97 ABGB, bei der Beurteilung der finanziellen Leistungsfähigkeit des in der Wohnung verbliebenen Ehegatten von diesem bezogenes Kinderbetreuungsgeld außer Acht zu lassen


Schlagworte: Familienrecht, verfügungsberechtigter Ehegatte, dringendes Wohnbedürfnis, Kinderbetreuungsgeld, finanzielle Leistungsfähigkeit, Wohnungsbenützungskosten, Betriebskosten, Kreditraten
Gesetze:

§ 97 ABGB, KBGG

GZ 6 Ob 84/11p [1], 24.11.2011

 

OGH: Nach § 97 ABGB hat ein Ehegatte, der über die zur Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des anderen Gatten dienende Wohnung verfügungsberechtigt ist, alles zu unterlassen und vorzukehren, damit der auf die Wohnung angewiesene Gatte diese nicht verliere. Auf dieser Grundlage kann ihm auch die Zahlung von Wohnungserhaltungskosten (insbesondere Kreditrückzahlungsraten) aufgetragen werden. Dies gilt auch bei Nichtbestehen eines Geldunterhaltsanspruchs nach der Prozentsatzmethode, wenn der andere Ehegatte nicht in der Lage ist, diese Kosten ohne Gefährdung seiner über den Wohnungsbedarf hinausgehenden übrigen Unterhaltsbedürfnisse zu tragen. Der Anspruch nach § 97 ABGB umfasst zwar nicht die Zahlung der Wohnungsbenützungskosten (zB der Kosten für Strom und Gas), wohl aber (etwa auch) die Vorschreibungen nach § 32 WEG. Der OGH hat schon ausgesprochen, dass nach § 382h EO sicherungsfähige Leistungen, deren Unterbleiben einen Verlust der Wohnung zur Folge haben könne, von solchen Leistungen, bei denen ein derartiger Verlust nicht drohe, zu unterscheiden ist. Ein Wohnungseigentümer ist dabei nach § 36 Abs 1 Z 1 WEG einer Ausschließungsklage der übrigen Wohnungseigentümer ausgesetzt, wenn er seinen Pflichten aus der Gemeinschaft nicht nachkommt, insbesondere die ihm obliegenden Zahlungen nicht leistet. Damit sind hinsichtlich der Betriebskosten einer Eigentumswohnung die Voraussetzungen des § 382h EO erfüllt (zu Betriebskosten nach § 15 MRG vgl im gleichen Sinn Beck in Gitschthaler/Höllwerth, EuPR [2011] § 382h EO Rz 13).

 

Damit wird im Rahmen des § 97 ABGB ein Zahlungsanspruch begründet, der getrennt vom eigentlichen Unterhaltsanspruch zu sehen ist.

 

Zweck des § 97 ABGB ist es, dem betroffenen Ehegatten jene Wohnmöglichkeit zu erhalten, die ihm bisher zur Deckung des den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Bedürfnisses gedient hat und die er weiterhin benötigt; er soll insofern vor Willkürakten des anderen Ehegatten geschützt werden. Dieser Regelungszweck begründet einen Zahlungsanspruch (nur) dann, wenn der in der Wohnung verbliebene Ehegatte die Zahlungen nicht aus Eigenem leisten kann. Denn nur dann droht ein Verlust der Wohnung, den abzuwehren der verfügungsberechtigte Ehegatte nach § 97 ABGB „vorkehren“ muss. Der Anspruch auf Zahlung der Wohnungskosten besteht nicht, wenn der in der Wohnung gebliebene Ehegatte die Kosten ohnehin ohne Gefährdung seiner sonstigen Bedürfnisse selbst tragen kann. Maßgebend ist somit die finanzielle Lage des in der Wohnung verbliebenen Ehegatten, dabei ist der konkrete Bedarf zur Erhaltung der Wohnung entscheidend.

 

Die Höhe des Zahlungsanspruchs nach § 97 ABGB hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Maßgebend sind va die finanzielle Leistungsfähigkeit beider Teile und die Höhe der Wohnungserhaltungskosten im Verhältnis zu den Mitteln, die dem in der Wohnung verbliebenen Ehegatten (einschließlich des ihm zustehenden Unterhalts) zur Verfügung stehen. Zutreffend haben die Vorinstanzen das von der Klägerin bezogene Kinderbetreuungsgeld bei der Ermittlung der Höhe ihres Zahlungsanspruchs als ihr Einkommen gewertet. Der mit „Unterhaltsansprüche“ überschriebene § 42 KBGG steht entgegen der Ansicht der Rechtsmittelwerberin dieser Beurteilung nicht entgegen. Die Bestimmung normiert, dass das Kinderbetreuungsgeld und der Zuschuss zum Kinderbetreuungsgeld weder als eigenes Einkommen des Kindes noch des beziehenden Elternteils gelten und nicht deren Unterhaltsansprüche mindern. Mit dieser Regelung will der Gesetzgeber im Bereich des Unterhaltsrechts das Kinderbetreuungsgeld nicht als Einkommen des Kindes oder des beziehenden Elternteils behandelt haben.

 

Abgesehen davon, dass die Rsp § 97 ABGB nicht den Streitigkeiten über den aus dem Gesetz gebührenden Unterhalt nach § 49 Abs 2 Z 2 JN zuordnet und der auf § 97 ABGB gestützte Zahlungsanspruch kein bloßer Teil des Unterhaltsanspruchs, sondern ein familienrechtlicher Anspruch ist, der Ausfluss der spezifischen Beistandspflicht während aufrechter Ehe ist, widerspricht es dem Regelungszweck des § 97 ABGB, bei der Beurteilung der finanziellen Leistungsfähigkeit des in der Wohnung verbliebenen Ehegatten von diesem bezogenes Kinderbetreuungsgeld außer Acht zu lassen. Diese Mittel stehen ihm tatsächlich zur Befriedigung seiner Bedürfnisse zur Verfügung.

 

Was die Höhe des Zahlungsanspruchs im zu entscheidenden Fall betrifft, so ist im relevanten Zeitraum zwar das von der Klägerin bezogene Erwerbseinkommen und das Kinderbetreuungsgeld in etwa gleich hoch wie das Arbeitslosengeld des Beklagten, sodass der Anspruch der Klägerin grundsätzlich auf die Zahlung der Hälfte der Summe aus Kreditraten und Betriebskosten ginge. Es ist aber zu berücksichtigen, dass der Beklagte auch noch in seiner Revisionsrekursbeantwortung dazu steht, die Kreditraten zur Gänze zu zahlen. Die Klägerin hat daher Anspruch auf Zahlung der monatlichen Kreditraten (an die kreditierende Bank), nicht aber auf Zahlung der Betriebskosten, weil sie diese mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln tragen kann.