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03.01.2012 Wirtschaftsrecht

OGH: Hausdurchsuchung gem § 12 WettbG und Auskunftsverlangen nach § 11a WettbG

Auch wenn keine Hierarchie unter den Ermittlungsinstrumenten der Wettbewerbsbehörden besteht, ist zu berücksichtigen, dass Hausdurchsuchungen einen schwerwiegenden Eingriff in die Individualsphäre des Betroffenen bilden; es ist deshalb an das Interesse an der Sachaufklärung durch eine Hausdurchsuchung ein strengerer Maßstab anzulegen als bei Auskunftsverlangen; im Einzelfall kann sich daher unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit eine Einschränkung der Wahlfreiheit ergeben; zweckmäßig ist eine Nachprüfung insbesondere dann, wenn aus Sicht der Behörde Verdunkelungsgefahr besteht


Schlagworte: Kartellrecht, Wettbewerbsrecht, Bundeswettbewerbsbehörde, Hausdurchsuchung, begründeter Verdacht, Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit, Auskunftsverlangen, Ermittlungen
Gesetze:

§ 12 WettbG, § 11a WettbG, § 11 WettbG, § 39 AußStrG

GZ 16 Ok 5/11 [1], 09.11.2011

 

OGH: § 12 Abs 1 WettbG ordnet an, dass das Kartellgericht, wenn dies zur Erlangung von Informationen aus geschäftlichen Unterlagen erforderlich ist, auf Antrag der BWB bei Vorliegen eines begründeten Verdachts einer Zuwiderhandlung gegen die §§ 1, 5 oder 17 KartG 2005 oder Art 81 oder 82 EG (nunmehr Art 101 und 102 AEUV), eine Hausdurchsuchung anzuordnen hat. Diese Hausdurchsuchung ist nach § 12 Abs 3 WettbG vom Senatsvorsitzenden im Verfahren außer Streitsachen mit Beschluss anzuordnen. Weitere Inhaltserfordernisse werden nicht statuiert. Nach § 39 Abs 3 des subsidiär geltenden AußStrG hat die schriftliche Ausfertigung eines Beschlusses die Anträge der Parteien, die Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts, die Beweiswürdigung sowie die rechtliche Beurteilung zu enthalten. Dass diese Teile der Begründung voneinander gesondert oder einzeln bezeichnet darzustellen wären, ordnet das Gesetz nicht an. Hier hat das Erstgericht eine derartige Trennung nicht vorgenommen, auf S 4 und 5 der Entscheidung aber insbesondere den Inhalt von Protokollen der Vollversammlung bzw des Lenkungsausschusses der Brauereien Österreichs im Bezug auf Beschränkungen über die Fassbierbelieferung und Verdachtsmomente betreffend das Vetriebssystem festgestellt und damit eine ausreichende Sachverhaltsbasis für die rechtliche Beurteilung geschaffen.

 

Die Rechtsmittelwerberinnen gestehen weiters zwar zu, dass es unter den Ermittlungsinstrumenten, die der BWB nach dem WettbG zur Verfügung stehen, kein hierarchisches Verhältnis gibt und der BWB hier eine Wahlmöglichkeit zusteht, sie meinen aber, dass die Androhung bzw Durchführung der Hausdurchsuchung im vorliegenden Fall unverhältnismäßig gewesen sei. Es hätten bereits aussagekräftige Unterlagen des Kronzeugen vorgelegen, und es habe nicht die geringste Veranlassung zur Annahme bestanden, dass die Antragsgegnerinnen die Beantwortung eines förmlichen Auskunftsverlangens verweigern würden. Für die Verschleierung von Unterlagen seien keinerlei Anhaltspunkte vorgelegen. Die Unverhältnismäßigkeit der Hausdurchsuchung ergebe sich auch daraus, dass die BWB an andere Brauunternehmen Auskunftsverlangen gerichtet und auch gegenüber den Antragsgegnerinnen eine solche Vorgangsweise angekündigt habe. Angesichts der Kooperationsbereitschaft der Antragsgegnerinnen habe für die Hausdurchsuchung keinerlei Grund bestanden. Bei der Hausdurchsuchung im Büro eines Mitarbeiters sei eine Mappe mit der Aufschrift „BWB“ sichergestellt worden, in der Protokolle von Sitzungen des Brauereiverbands enthalten gewesen seien. Die Mappe sei zur Vorbereitung des in Aussicht gestellten Auskunftsverlangens erstellt worden. Dies zeige, dass keine Verdunkelungsabsicht bestanden habe.

 

Das WettbG trifft innerhalb der der BWB zustehenden Ermittlungsbefugnisse keine hierarchische Ordnung. Es ist daher weder die Durchführung eines Auskunftsverlangens noch dessen Ankündigung Voraussetzung für die Erlassung eines Hausdurchsuchungsbefehls. Auskunftsverlangen und Nachprüfung sind zwei voneinander unabhängige Ermittlungsinstrumente zur Sachverhaltsaufklärung.

 

Wenn an Unternehmen Auskunftsverlangen verschickt werden, bedeutet das nicht, dass die BWB diese Erhebungsmaßnahme gegenüber allen des Wettbewerbsverstoßes verdächtigen Unternehmen gleichermaßen anwenden muss. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Voraussetzungen des § 12 Abs 1 WettbG vorliegen, also die Hausdurchsuchung zur Erlangung von Informationen aus geschäftlichen Unterlagen erforderlich ist und der begründete Verdacht eines in dieser Bestimmung genannten Kartellverstoßes besteht.

 

Begründet ist ein Verdacht dann, wenn er sich rational nachvollziehbar dartun lässt. Dafür müssen Tatsachen vorliegen, aus denen vertretbar und nachvollziehbar geschlossen werden kann, dass eine Zuwiderhandlung gegen die im Gesetz genannten Wettbewerbsbestimmungen vorliegt.

 

Zum Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit einer Hausdurchsuchung:

 

Dazu sagt § 12 WettbG nichts Näheres. Die Bestimmung ist weitgehend dem Europäischen Recht, insbesondere Art 20 der Verordnung Nr 1/2003 über die Nachprüfungsrechte der Europäischen Kommission, nachgebildet. Danach muss die konkrete Nachprüfungshandlung zur Erfüllung der durch die Verordnung 1/2003 übertragenen Aufgaben erforderlich sein, also die Prüfung der vermuteten Zuwiderhandlung ermöglichen. Selbst wenn bereits Beweise oder Indizien für Zuwiderhandlungen vorliegen, sind die Behörden berechtigt, zusätzliche Beweise zu erheben und Auskünfte einzuholen, die es ermöglichen, das Ausmaß der Zuwiderhandlung, deren Dauer oder den Kreis der daran beteiligten Unternehmen genauer zu bestimmen.

 

Grundsätzlich darf auch nach Informationsquellen gesucht werden, die noch nicht bekannt sind.

 

Die Erforderlichkeit ist daher anhand des verfolgten und dem Adressaten bekannt gegebenen Zwecks zu beurteilen. Die Ermittlungen sind aber nicht auf Tatsachen beschränkt, die unmittelbar die Tatbestandsvoraussetzungen eines Wettbewerbsverstoßes betreffen, sondern umfassen auch Informationen über den rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang, innerhalb dessen der Verfahrensgegenstand  beurteilt werden muss.

 

Grundsätzlich steht der BWB neben einer Hausdurchsuchung auch das Ermittlungsinstrument des Auskunftsverlangens nach § 11a WettbG zur Verfügung. Nach Abs 1 Z 2 dieser Bestimmung kann die BWB auch geschäftliche Unterlagen einsehen, prüfen und Abschriften und Auszüge anfertigen. Im Gegensatz zur Hausdurchsuchung, die zur Erlangung von Informationen aus geschäftlichen Unterlagen angeordnet werden kann, ermöglicht § 11a WettbG aber kein Suchen nach erforderlichen Unterlagen, sondern setzt viel mehr voraus, dass die geschäftlichen Unterlagen entweder bereits bekannt sind oder freiwillig zur Verfügung gestellt werden. Zur Erreichung des Zwecks der Aufklärung des begründeten Verdachts einer Beteiligung an einem kartellgesetzwidrigen Verhalten ist eine Hausdurchsuchung daher im Gegensatz zu einem Auskunftsverlangen immer dann geeignet, wenn erst nach zur Aufklärung geeigneten Informationsquellen gesucht werden muss, allenfalls auch, wenn die Vollständigkeit bereits vorhandener Unterlagen überprüft werden muss.

 

Zur Verhältnismäßigkeit:

 

Auch wenn keine Hierarchie unter den Ermittlungsinstrumenten der Wettbewerbsbehörden besteht, ist zu berücksichtigen, dass Hausdurchsuchungen einen schwerwiegenden Eingriff in die Individualsphäre des Betroffenen bilden. Es ist deshalb an das Interesse an der Sachaufklärung durch eine Hausdurchsuchung ein strengerer Maßstab anzulegen als bei Auskunftsverlangen. Im Einzelfall kann sich daher unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit eine Einschränkung der Wahlfreiheit ergeben. Zweckmäßig ist eine Nachprüfung insbesondere dann, wenn aus Sicht der Behörde Verdunkelungsgefahr besteht.

 

Auch wenn sich im Rahmen der Hausdurchsuchung herausgestellt haben sollte, dass bei den Antragsgegnerinnen bereits Vorbereitungen zur Beantwortung eines Auskunftsersuchens getroffen wurden, spricht dieser Umstand schon deshalb nicht gegen die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Hausdurchsuchung, weil diese ex ante zu beurteilen ist.

 

Die Rechtsmittelwerberinnen meinen, dass das Bescheinigungsvorbringen der BWB unzulänglich gewesen sei. Aus den vorhandenen Zeugenaussagen ergebe sich lediglich die Beteiligung anderer Brauereiunternehmen, die Antragsgegnerinnen kämen dagegen in diesen Aussagen nicht vor. Mit pauschalen Vermutungen könne aber die Notwendigkeit einer Hausdurchsuchung gerade bei den Antragsgegnerinnen nicht dargetan werden.

 

Abgesehen davon, dass sich Hausdurchsuchungen nicht nur gegen die eines kartellrechtlichen Verstoßes verdächtigen Unternehmen, sondern auch gegen Dritte richten können, bei denen entsprechende Unterlagen iSd § 12 WettbG aufgefunden werden könnten, ergibt sich hier ohnehin ein ausreichend begründeter Verdacht auch wenn keine Zeugenaussagen über die konkrete Umsetzung der Verbandsbeschlüsse auch durch die Antragsgegnerinnen vorliegen. Ansonsten würde der Sinn von Hausdurchsuchungen, die insbesondere auch auf unbekannte Informationsquellen abzielen können, in Frage gestellt und die Wirksamkeit und die Effektivität des Kartellrechtsschutzes unterminiert werden.

 

Dass der Adressat des Hausdurchsuchungsbefehls an der kartellrechtswidrigen Absprache selbst beteiligt ist oder sogar maßgeblich beteiligt sein müsste, ist keine Voraussetzung für eine Hausdurchsuchung.