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10.01.2012 Zivilrecht

OGH: § 140 ABGB – zur Frage der unterhaltsrechtlichen Qualifikation von „Entnahmen“ eines GmbH-Gesellschafters über ein Verrechnungskonto

Entnahmen eines Gesellschafter-Geschäftsführers einer GmbH mit nicht beherrschendem Einfluss von Verrechnungskonten, die tatsächlich jahrelang nicht zurückgezahlt werden und für deren Rückzahlung ein Termin in naher Zukunft nicht feststeht sind für die Bemessung künftigen Unterhalts zu berücksichtigen


Schlagworte: Familienrecht, Unterhalt, Gesellschafter-Geschäftsführers einer GmbH mit (nicht) beherrschendem Einfluss, Verrechnungskonto, Entnahmen, Rückzahlung
Gesetze:

§ 140 ABGB

GZ 6 Ob 112/11f [1], 24.11.2011

 

OGH: Maßgeblich für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen ist in erster Linie sein Gesamteinkommen, also die Summe der ihm tatsächlich zufließenden verfügbaren Mittel, wozu alle Einkünfte aus Erwerbstätigkeit und Erträgnisse aus Vermögen zählen. Privatentnahmen eines selbständig tätigen Unterhaltspflichtigen sind als Bemessungsgrundlage heranzuziehen, wenn sie entweder den Reingewinn aus dem Unternehmen übersteigen oder die Betriebsbilanz einen Verlust aufweist. Als Privatentnahmen sind alle nicht betrieblichen Bar- und Naturalentnahmen zu werten.

 

IZm Privatentnahmen eines unterhaltspflichtigen Personengesellschafters hat der OGH ausgesprochen, dass es nicht darauf ankommt, ob ein Gesellschafter mit den Privatentnahmen sein Entnahmerecht überschritten und allenfalls in Zukunft Beträge rückerstatten muss, ist doch nur die tatsächliche wirtschaftliche Lage des Unterhaltspflichtigen ausschlaggebend (4 Ob 94/99y). Die Entscheidung hält fest, dass dies jedenfalls bei einer Unterhaltsbemessung für vergangene Zeiträume gilt, weil hier die tatsächlichen Lebensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen im jeweiligen Zeitraum maßgebend sind.

 

Der Ausdruck „Privatentnahme“ deutet darauf hin, dass ein Unterhaltspflichtiger Vermögenswerte von seinem betrieblichen in seinen privaten Bereich transferiert. Ein Gesellschafter einer GmbH kann aus der Gesellschaft keine „Privatentnahmen“ in diesem Sinn tätigen, weil die Gesellschaft eigene Rechtspersönlichkeit hat (§ 61 Abs 1 GmbHG). Es ist in der Praxis nicht unüblich, dass Gesellschafter-Geschäftsführer von der GmbH Geldbeträge oder geldwerte Vorteile erlangen („Quasi-Entnahmen“), die bei ordnungsgemäßer Verbuchung auf dem Verrechnungskonto des Gesellschafter-Geschäftsführers erfasst werden. Diese Entnahmen führen zu einer entsprechenden Forderung der GmbH, die der Gesellschafter-Geschäftsführer zurückzuzahlen hat.

 

Siart/Dürauer führen aus, dass ein unterhaltspflichtiger Gesellschafter-Geschäftsführer bei einem ausreichenden beherrschenden Einfluss auf die GmbH die alleinige Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der Rückforderung eines offenen Verrechnungskontos inne habe. Würde ein Gesellschafter-Geschäftsführer der GmbH über ein Verrechnungskonto laufend Vermögen entziehen, um damit seine private Lebensführung zu bestreiten (wirtschaftliche Entnahme), dann könnte er seine übrigen Einkünfte aus dieser GmbH (Geschäftsführerbezüge, Gewinnausschüttungen), anhand derer der Unterhalt bemessen werde, gering halten. Falls die über ein Verrechnungskonto bezogenen Gelder in diesem Fall nicht in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einbezogen würden (da ja grundsätzlich eine Rückzahlungsverpflichtung bestehe), käme es zu dem unterhaltsrechtlich nicht wünschenswerten Ergebnis, dass der Unterhaltsberechtigte seine Ansprüche an den künstlich niedrig gehaltenen Einkünften (Geschäftsführerbezüge, Gewinnausschüttungen) bemessen müsste, während der Unterhaltspflichtige ein tatsächlich verfügbares, höheres Einkommen beziehe, das er überwiegend nicht mit dem Unterhaltsberechtigten teile. Bei unterhaltspflichtigen Gesellschafter-Geschäftsführern, die einen beherrschenden Einfluss auf eine GmbH hätten - insbesondere also bei Geschäftsführern, die auch Alleingesellschafter dieser GmbH seien - seien über Verrechnungskonten bezogene Gelder wohl zusätzlich zu den sonstigen Geschäftsführerbezügen in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen. Derartige Unterhaltspflichtige hätten sonst die Möglichkeit, die Unterhaltsansprüche eines Unterhaltsberechtigten zu schmälern, indem sie ihre angemessenen Geschäftsführerbezüge kürzen und sich einen Teil ihrer Bezüge über Verrechnungskonten auszahlen lassen. Aufgrund der alleinigen Verfügungsmacht könnten solche Unterhaltspflichtige den Zeitraum und die Modalitäten für die Rückzahlung der auf diese Weise entstehenden Verbindlichkeit des (Allein-)Gesellschafters gegenüber der GmbH (Verrechnungskonto) bestimmen und steuern. Entscheidend in diesem Zusammenhang sei auch, inwieweit der Gesellschafter-Geschäftsführer diese über Verrechnungskonten bezogenen Gelder für seine private Lebensführung tatsächlich verbraucht habe bzw verbraucht haben müsse. Komme jedoch einem unterhaltspflichtigen Gesellschafter-Geschäftsführer keine ausreichend beherrschende Stellung in einer GmbH zu (wenn er etwa nur einen geringen Gesellschaftsanteil habe und es keine Hinweise auf Naheverhältnisse zu anderen Gesellschaftern, die eine mittelbare Einflussnahme auf die Entscheidungen der GmbH ermöglichen, gebe), bestehe keine Veranlassung, über Verrechnungskonten bezogene Gelder in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen, würden doch die übrigen „unabhängigen“ Gesellschafter für eine zeitnahe Rückzahlung von offenen Verrechnungskonten eintreten.

 

Die von Siart/Dürauer zum Gesellschafter-Geschäftsführer mit beherrschendem Einfluss vertretene Auffassung teilt auch der Revisionswerber. Sie ist hier aber nicht entscheidungswesentlich.

 

Dass er - wovon das Rekursgericht ausgegangen ist - keinen formell beherrschenden Einfluss auf die GmbH hat, führt aber nach den Umständen des Falls nicht zu dem von ihm gewünschten Ergebnis. Zunächst ist festzuhalten, dass die Entnahmen des Rechtsmittelwerbers aus der GmbH nach der unwidersprochenen Annahme des Rekursgerichts der Finanzierung seines privaten Lebensaufwands dienen. Im Sinn der oben zitierten Entscheidung 4 Ob 94/99y ist für die Bemessung des Unterhalts bis Ende 2008 unerheblich, dass der Vater bis dahin getätigte Entnahmen zurückzahlen muss und allenfalls in Zukunft auch zurückzahlen wird. Denn mit den vom Rekursgericht festgestellten Entnahmen standen ihm tatsächlich weitere Mittel zur Verfügung, die seine wirtschaftliche Lage bestimmten, sodass sein unterhaltsberechtigtes Kind nur dann angemessen an den Lebensverhältnissen seines Vaters teilnimmt, wenn die Entnahmen berücksichtigt werden.

 

Zutreffend ist aber auch die Beurteilung des Rekursgerichts, dass der Durchschnitt der Entnahmen in den Jahren 2006 bis 2008 für die Bemessung des Unterhalts ab 1. 1. 2009 zu berücksichtigen ist.

 

Dass bei einem Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH ohne ausreichende beherrschende Stellung nie Veranlassung bestünde, über Verrechnungskonten bezogene Gelder in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen, vertreten auch Siart/Dürauer nicht. Die wirtschaftliche Lage eines Gesellschafter-Geschäftsführers mit nicht beherrschendem Einfluss, der über Verrechnungskonten Gelder der GmbH entnimmt, die tatsächlich jahrelang nicht zurückgezahlt werden und für deren Rückzahlung ein Termin in naher Zukunft nicht feststeht, ist kaum anders als jenes Gesellschafter-Geschäftsführers, der aufgrund seiner alleinigen Verfügungsmacht Zeitraum und Modalitäten der Rückzahlung bestimmen und steuern kann, sodass es gerechtfertigt ist, die Entnahmen auch für die Bemessung künftigen Unterhalts zu berücksichtigen.