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26.05.2011 Wirtschaftsrecht

OGH: Schadenersatz bei vergaberechtswidrigen Entscheidungen auch ohne Verschulden des öffentlichen Auftraggebers?

Der EuGH hat ausgesprochen, dass die Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 geänderten Fassung dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Regelung, die den Schadenersatzanspruch wegen Verstoßes eines öffentlichen Auftraggebers gegen Vergaberecht von der Schuldhaftigkeit des Verstoßes abhängig macht, auch dann entgegensteht, wenn bei der Anwendung dieser Regelung ein Verschulden des öffentlichen Auftraggebers vermutet wird und er sich nicht auf das Fehlen individueller Fähigkeiten und damit auf mangelnde subjektive Vorwerfbarkeit des behaupteten Verstoßes berufen kann; die in Art 2 Abs 1 Buchstabe c der Richtlinie 89/665/EWG vorgesehene Rechtsschutzmöglichkeit könne nicht davon abhängig sein, dass ein Verschulden des öffentlichen Auftraggebers festgestellt wird


Schlagworte: Vergaberecht, Schadenersatzrecht, vergaberechtswidrige Entscheidung, Verschulden, öffentlicher Auftraggeber
Gesetze:

§§ 338 ff BVergG 2006, §§ 1295 ff ABGB, Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge

GZ 6 Ob 208/10x [1], 17.11.2010

 

OGH: Nach den Feststellungen der Vorinstanzen wäre den Klägerinnen der Zuschlag zu erteilen gewesen, wenn die Beklagte (rechtsrichtig) die Bestbieterin ausgeschlossen hätte. Den Klägerinnen ist somit der Beweis der Kausalität der rechtswidrigen Zuschlagserteilung durch die Beklagte für den von ihnen behaupteten Schaden gelungen.

 

§ 115 Abs 1 StVergG nennt als weitere Voraussetzung für den Anspruch auf Ersatz der Kosten der Angebotsstellung und der durch die Teilnahme am Vergabeverfahren entstandenen Kosten sowie eines allenfalls entgangenen Gewinns eine „schuldhafte Verletzung dieses Gesetzes oder der hiezu ergangenen Verordnungen durch Organe der vergebenden Stelle“. Darauf beruft sich die Beklagte und meint, sie bzw ihre Organe treffe kein Verschulden, weil sie sowohl nach Gemeinschaftsrecht als auch nach österreichischem Recht an den formell rechtskräftigen Bescheid des Vergabekontrollsenats vom 10. 6. 1999 gebunden gewesen sei; dieser habe jedoch entschieden, dass weder ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten noch die Bestbieterin auszuscheiden sei.

 

Die Klägerinnen und ihr Nebenintervenient bestreiten eine derartige Bindung der Beklagten und sehen das Verschulden der Beklagten va darin, dass sie den Zuschlag vor Ablauf der Beschwerdefrist gegen den Bescheid vom 10. 6. 1999 erteilt und dessen inhaltliche Unrichtigkeit nicht erkannt bzw beachtet habe.

 

Darauf kommt es jedoch nicht an:

 

Der EuGH hat aufgrund eines vom OGH zu 6 Ob 268/08t am 2. 7. 2009 eingeleiteten Vorabentscheidungsverfahrens nach Art 234 EG mit Urteil vom 30. 9. 2010 (RS C-314/09) ausgesprochen, dass die Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 geänderten Fassung dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Regelung, die den Schadenersatzanspruch wegen Verstoßes eines öffentlichen Auftraggebers gegen Vergaberecht von der Schuldhaftigkeit des Verstoßes abhängig macht, auch dann entgegensteht, wenn bei der Anwendung dieser Regelung ein Verschulden des öffentlichen Auftraggebers vermutet wird und er sich nicht auf das Fehlen individueller Fähigkeiten und damit auf mangelnde subjektive Vorwerfbarkeit des behaupteten Verstoßes berufen kann. Der EuGH begründete dies insbesondere damit, dass der Wortlaut der Art 1 Abs 1 und Art 2 Abs 1, 6 und 6 sowie des 6. Erwägungsgrundes der Richtlinie 89/665/EWG keinerlei Hinweis darauf enthält, dass der Verstoß gegen die Vergaberegelung, der einen Schadenersatzanspruch des Geschädigten begründen kann, besondere Merkmale aufweisen müsste, wie etwa dass er mit einem erwiesenen oder vermuteten Verschulden des öffentlichen Auftraggebers verknüpft ist. Die in Art 2 Abs 1 Buchstabe c der Richtlinie 89/665/EWG vorgesehene Rechtsschutzmöglichkeit könne nicht davon abhängig sein, dass ein Verschulden des öffentlichen Auftraggebers festgestellt wird.

 

Nach der Entscheidung des EuGH C-15/04 (Koppensteiner gegen BIG) haben Gerichte nationale Vorschriften unangewendet zu lassen, die es daran hindern, die Verpflichtungen aus den Bestimmungen der Richtlinie 89/665/EWG zu beachten. Damit ist § 115 Abs 1 StVergG aber so zu lesen, dass bei Verletzung dieses Gesetzes oder der hiezu ergangenen Verordnungen durch Organe der vergebenden Stelle ein übergangener Bewerber oder Bieter gegen den Auftraggeber, dem das Verhalten der Organe der vergebenden Stelle zuzurechnen ist, Anspruch auf Ersatz der Kosten der Angebotsstellung und der durch die Teilnahme am Vergabeverfahren entstandenen Kosten hat. Auf ein schuldhaftes Verhalten kommt es hingegen nicht an.

 

Da den Klägerinnen aufgrund der von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen der Beweis gelungen ist, dass die Beklagte im gegenständlichen Vergabeverfahren infolge Verstoßes gegen das (damals noch anzuwendende) Steiermärkische Vergabegesetz 1998 - StVergG, LGBl 1998/74, den Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt hat, sondern vielmehr den Klägerinnen der Zuschlag zu erteilen gewesen wäre, wenn die Beklagte (rechtsrichtig) die Bestbieterin ausgeschlossen hätte, haben die Vorinstanzen letztlich im Ergebnis zutreffend dem Schadenersatzbegehren dem Grunde nach stattgegeben.