25.07.2012 Verwaltungsstrafrecht

VwGH: Strafvollzug durch elektronisch überwachten Hausarrest – Missbrauchsgefahr iSd § 156c Abs 1 Z 4 StVG

Die Einbeziehung der Delikts- und Problemverleugnung bei der Beurteilung der Bewilligungsvoraussetzung des § 156c Abs 1 Z 4 StVG ist nicht als rechtswidrig zu erkennen


Schlagworte: Strafvollzug durch elektronisch überwachten Hausarrest, Missbrauchsgefahr, Risikofaktoren, Delikts- und Problemverleugnung
Gesetze:

§ 156b StVG, § 156c StVG, § 20 StVG

GZ 2012/01/0083, 20.06.2012


Die belangte Behörde begründete die Abweisung des Antrags des Bf auf Vollzug einer Freiheitsstrafe in Form des elektronisch überwachten Hausarrests zunächst damit, dass die Bewilligungsvoraussetzung des § 156c Abs 1 Z 4 StVG nicht erfüllt sei.

 

VwGH: Der VwGH hat zu dieser Bestimmung im Erkenntnis vom 26. Jänner 2012, 2011/01/0243, Folgendes ausgeführt:

 

"2.1. Gem § 156c Abs 1 Z 4 StVG ist der Vollzug einer zeitlichen Freiheitsstrafe in Form des elektronisch überwachten Hausarrests nur zu bewilligen, wenn nach Prüfung der Wohnverhältnisse, des sozialen Umfelds und allfälliger Risikofaktoren sowie bei Einhaltung der Bedingungen (§ 156b Abs 2 StVG) anzunehmen ist, dass der Rechtsbrecher diese Vollzugsform nicht missbrauchen wird.

 

2.2. Zum Verständnis des Begriffs des Missbrauchs der Vollzugsform ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der elektronisch überwachte Hausarrest nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers eine besondere Vollzugsform der Freiheitsstrafe darstellt. Dies kommt in den Gesetzesmaterialien zu BGBl I Nr 64/2010 zum Ausdruck, wenn darin etwa ausgeführt wird, dass der elektronisch überwachte Hausarrest als "Haft anderer Art" für den Vollzug von Freiheitsstrafen und der Untersuchungshaft eingeführt werden soll. Da es sich beim elektronisch überwachten Hausarrest um eine Form des Vollzugs handle, müsse sich der Strafgefangene gewissen Einschränkungen in seiner Lebensführung unterwerfen, die dem Zweck des Strafvollzugs entsprechen sollen.

 

In diesem Sinn hat auch der OGH zur Bestimmung des § 173a StPO, welche die Fortsetzung der Untersuchungshaft im elektronisch überwachten Hausarrest regelt, ausgesprochen, dass es sich beim elektronisch überwachten Hausarrest nur um eine Modalität der Untersuchungshaft und nicht etwa um ein diese substituierendes gelinderes Mittel handelt (und insofern die Erhebung einer Grundrechtsbeschwerde gegen eine die Fortsetzung des Vollzugs der Untersuchungshaft im elektronisch überwachten Hausarrest nicht bewilligende Entscheidung für nicht zulässig erachtet).

 

Auch der Strafvollzug in der neu geschaffenen Vollzugsform des elektronisch überwachten Hausarrests hat daher den (allgemeinen) Zwecken des Strafvollzugs gem § 20 Abs 1 StVG zu entsprechen.

 

Nach dieser Bestimmung soll der Strafvollzug den Verurteilten zu einer rechtschaffenen und den Erfordernissen des Gemeinschaftslebens angepassten Lebenseinstellung verhelfen und sie abhalten, schädlichen Neigungen nachzugehen. Der Vollzug soll außerdem den Unwert des der Verurteilung zugrunde liegenden Verhaltens aufzeigen.

 

Ein Missbrauch (auch) dieser Vollzugsform ist daher insbesondere dann anzunehmen, wenn zu befürchten ist, dass der Rechtsbrecher infolge der Anwendung des elektronisch überwachten Hausarrests ein Verhalten setzt, das mit den genannten Zwecken des Strafvollzugs nicht im Einklang steht.

 

2.3. Aufgrund des systematischen Zusammenhanges mit der Bestimmung über den Widerruf der Anhaltung im elektronisch überwachten Hausarrest (vgl insbesondere § 156c Abs 2 Z 5 StVG) ist ein Risiko, der Strafgefangene werde die Vollzugsform missbrauchen, im Einzelnen va dann anzunehmen, wenn die begründete Befürchtung besteht, dass er während des elektronisch überwachten Hausarrests weitere strafbare Handlungen, insbesondere Vorsatzdelikte, begehen oder sich dem weiteren Strafvollzug entziehen werde.

 

§ 156c Abs 2 Z 5 StVG sieht nämlich den Widerruf des elektronisch überwachten Hausarrests dann vor, wenn gegen den Strafgefangenen der dringende Verdacht besteht, eine vorsätzliche gerichtlich strafbare Handlung während des elektronisch überwachten Hausarrests oder eine vorsätzliche oder fahrlässige gerichtlich strafbare Handlung, deren Aburteilung nach Abs 1 Z 4 einer Bewilligung des Strafvollzugs durch elektronisch überwachten Hausarrest entgegenstehen würde, begangen zu haben oder sich dem weiteren Strafvollzug entziehen zu wollen.

 

Davon ausgehend stellen bereits begangene (vorsätzliche wie fahrlässige) strafbare Handlungen Risikofaktoren dar, die gem § 156c Abs 1 Z 4 StVG neben den Wohnverhältnissen und dem sozialen Umfeld des Verurteilten in die Beurteilung der Missbrauchsgefahr einzufließen haben. Darüber hinaus nennen die Gesetzesmaterialien die Gefährlichkeit des Betroffenen, Art und Beweggrund der Anlasstat oder früherer Verurteilungen, den nunmehrigen Lebenswandel und die Chancen auf ein redliches Fortkommen nach der Haft als weitere Aspekte, die bei Beurteilung der Missbrauchsgefahr zu berücksichtigen sind. Auch die Wahrscheinlichkeit der Einhaltung der nach § 156b Abs 2 StVG auferlegten Bedingungen stellt einen Risikofaktor dar.

 

2.4. Nach dem Gesagten stellt die Einschätzung, ob die Gefahr besteht, der Verurteilte werde die Vollzugsform des elektronisch überwachten Hausarrests missbrauchen, eine Prognosebeurteilung dar, bei der vor dem Hintergrund der in den Gesetzesmaterialien genannten Aspekte auf die Wohnverhältnisse, das soziale Umfeld und allfällige Risikofaktoren abzustellen ist. Bei der Erstellung dieser Prognose besteht für die Strafvollzugsbehörden ein Beurteilungsspielraum, wobei die Entscheidung anhand der dargestellten Kriterien zu begründen ist. "

 

Die Beschwerde bringt in diesem Zusammenhang vor, die Beurteilung der belangten Behörde, wonach nicht anzunehmen sei, dass der Bf die begehrte Vollzugsform nicht missbrauchen werde, sei "vollkommen verfehlt". Die belangte Behörde argumentiere hier mit dem Vorbringen des Bf im verfahrenseinleitenden Antrag vom 10. Oktober 2011, wonach dieser beteuert habe, dass er seine Enkeltochter nicht sexuell missbraucht habe. Die belangte Behörde verkenne jedoch das Vorbringen des Bf in seiner Stellungnahme vom 1. Februar 2012 sowie in seiner Beschwerde (an die belangte Behörde) vom 22. Februar 2012, wonach er sich bereit erklärt habe, alle ihm auferlegten Verhaltensmaßnahmen unumwunden zu erfüllen, um den von ihm beantragten Vollzug in Form eines elektronisch überwachten Hausarrests bewilligt zu bekommen. Damit sei "natürlich schon aus sprachlich(er) Sicht eben auch die Aufgabe …(der) Delikts- und Problemverleugnung mitumfasst" gewesen. Der Bf würde wohl nicht einer umfassenden und unumwundenen Problembearbeitung im Zuge von Psychotherapie und sonstigen ihm auferlegten Maßnahmen zustimmen bzw hätte dem nicht zugestimmt, wenn keine "korrespondierende Einstellung zur Problemlösung" bei ihm vorherrschen würde, welche eine Aufgabe der Delikts- und Problemverleugnung in sich trage. Der Bf verweise daher darauf, dass er "keine delikts- oder problemleugnende Einstellung" in sich trage, er sich daher zu den Taten bekenne.

 

Weiters mangle es der Einschätzung der belangten Behörde, wonach im Falle des Bf von einem gravierenden Risikofaktor auszugehen sei, an den notwendigen Grundlagen. So werde in der Stellungnahme der Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter vom 12. Dezember 2011 ausgeführt, die aktuelle statistischnomothetische Prognose liefere Hinweise auf die Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Tätern, von der vergleichsweise wenig mit einem weiteren Sexualdelikt rückfällig würden, und die nicht primär über eine erhöhte pädosexuelle (richtig:) Erregungsbereitschaft iSe exklusiven Pädophilie verfügten. Warum die belangte Behörde davon ausgehe, dass vom Bf ein erhöhtes Risiko ausgehe, werde nicht nachvollziehbar begründet. Auch hinsichtlich der Annahme der belangten Behörde, generalpräventive Erwägungen würden einer derartigen Vorgangsweise entgegenstehen, mangele es an einer Begründung. Zudem sei im Unterschied zu den den Erkenntnissen vom 26. Jänner 2012, 2011/01/0243, und vom 15. März 2012, 2011/01/0226, zugrunde liegenden Sachverhalten der Bf (vor der Verurteilung vom 26. Jänner 2011) unbescholten. Schließlich sei die von der belangten Behörde verlangte "Eingestehung der Geschehensproblematik" in § 156c StVG nicht als Voraussetzung für die Zuerkennung des elektronisch überwachten Hausarrestes verlangt.

 

Dem Beschwerdevorbringen ist zunächst zu entgegnen, dass die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid die begehrte Vollzugsform des elektronisch überwachten Hausarrestes nicht deshalb versagt hat, weil eine von ihr angenommene (im Gesetz keine Deckung findende) Bewilligungsvoraussetzung der "Eingestehung der Geschehensproblematik" nicht erfüllt wurde. Sie hat lediglich den Umstand, dass beim Bf von einer Aufgabe der Delikts- und Problemverleugnung nicht ausgegangen werden könne und demnach die in der Äußerung der Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter vom 12. Dezember 2011 angesprochene Voraussetzung einer im Fall der Gewährung der begehrten Vollzugsform unabdingbaren begleitenden psychotherapeutischen Behandlung nicht vorliege, bei der Beurteilung der Bewilligungsvoraussetzung des § 156c Abs 1 Z 4 StVG einbezogen. Diese Vorgangsweise ist aber entgegen der Beschwerdeansicht nicht als rechtswidrig zu erkennen.

 

Soweit die Beschwerde sich gegen die Einschätzung der belangten Behörde wendet, beim Bf liege eine Aufgabe der Delikts- und Problemverleugnung in Wahrheit nicht vor, zeigt sie eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht auf. Die behördliche Beweiswürdigung ist der Kontrolle durch den VwGH nämlich nur dahin unterworfen, ob der maßgebliche Sachverhalt ausreichend ermittelt wurde und ob die dabei angestellten Erwägungen schlüssig sind, was dann der Fall ist, wenn sie den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut nicht widersprechen. Dem Gerichtshof kommt es hingegen nicht zu, die Beweiswürdigung der belangten Behörde darüber hinaus auf ihre Richtigkeit hin zu prüfen.

 

Vor dem Hintergrund der leugnenden Verantwortung des Bf in dem der vollzugsgegenständlichen Verurteilung zugrunde liegenden Strafverfahren und der noch im Antrag auf Gewährung des Vollzugs der Freiheitsstrafe in Form von elektronisch überwachtem Hausarrest enthaltenen Beteuerung des Bf, seine Enkeltochter nicht sexuell missbraucht zu haben, ist die Annahme der belangten Behörde, beim Bf liege eine Aufgabe der Delikts- und Problemverleugnung in Wahrheit nicht vor, auch bei Berücksichtigung der Bereitschaft (ua) zur Inanspruchnahme einer psychotherapeutischen Behandlung nicht als unschlüssig zu erkennen.

 

Soweit der Bf für seine Standpunkt die Äußerung der Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter vom 12. Dezember 2011 ins Treffen zu führen sucht und der belangten Behörde eine in dieser Hinsicht mangelhafte Begründung des angefochtenen Bescheides vorwirft, ist darauf hinzuweisen, dass gerade nach dieser Äußerung es als jedenfalls notwendig erachtet wurde, auf ein striktes Kontaktverbot des Bf zu seiner Enkelin zu achten, den Kontakt mit potenziellen anderen Opfern möglichst auszuschließen und eine fachärztlich kontrollierte Alkoholkarenz, regelmäßige Kontakte zur Bewährungshilfe sowie die Bereitschaft zur begleitenden psychotherapeutischen Behandlung sicherzustellen, wobei Letzteres eine Aufgabe der Delikts- und Problemverleugnung durch den Bf zur Voraussetzung habe. Indem sich die belangte Behörde in nicht unschlüssiger Weise auf die fehlende Aufgabe der Delikts- und Problemverleugnung im Falle des Bf gestützt hat, hat sie die in der genannten Äußerung der Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter als zur Risikominderung jedenfalls erforderlich erachteten Maßnahmen bei ihrer Entscheidung berücksichtigt, sodass der von der Beschwerde gerügte Begründungsmangel nicht vorliegt.

 

Dem angefochtenen Bescheid sind auch keine Hinweise darauf zu entnehmen, dass die belangte Behörde die (vor der vollzugsgegenständlichen Verurteilung vorliegende) Unbescholtenheit des Bf falsch beurteilt hätte. Entgegen der Beschwerdeansicht folgt aus dem Umstand, dass der Bf erstmals - hier: wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen und des Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses - strafgerichtlich verurteilt wurde, aber nicht, dass die iSd § 156c Abs 1 Z 4 StVG vorgenommene Prognosebeurteilung der belangten Behörde allein deshalb sich als unschlüssig erweisen würde.

 

Nach dem Gesagten hat die belangte Behörde den ihr vom Gesetz eingeräumten Beurteilungsspielraum bei ihrer Prognosebeurteilung nicht überschritten. Die insoweit auf § 156c Abs 1 Z 4 StVG gestützte Abweisung des Antrags des Bf auf Bewilligung des Vollzuges einer Freiheitsstrafe in Form des elektronisch überwachten Hausarrests ist daher nicht zu beanstanden. Bei diesem Ergebnis bedarf es weder einer Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Abweisung des Antrages zu Recht auch auf § 156c Abs 1 Z 2 lit b StVG gestützt werden konnte, noch ein Eingehen auf den Umstand, dass die belangte Behörde - zusätzlich zur einzelfallbezogenen Prognosebeurteilung im Hinblick auf § 156c Abs 1 Z 4 StVG - auch generalpräventive Erwägungen als der beantragten Vollzugsform entgegenstehend angesehen hat.