08.08.2012 Sicherheitsrecht

VwGH: Wegweisung und Betretungsverbot bei Gewalt in Wohnungen nach § 38a SPG

Auf Grund des sich den einschreitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bietenden Gesamtbildes muss mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, dass ein gefährlicher Angriff durch den Wegzuweisenden bevorstehe; bei dieser Prognose ist vom Wissensstand des Beamten im Zeitpunkt des Einschreitens auszugehen


Schlagworte: Sicherheitspolizeirecht, Wegweisung und Betretungsverbot bei Gewalt in Wohnungen, gefährlicher Angriff, Prognose
Gesetze:

§ 38a SPG, § 16 SPG

GZ 2012/01/0018, 31.05.2012

 

VwGH: § 38a Abs 1 SPG ermächtigt Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zur (formfreien) Wegweisung gefährlicher Menschen aus einer Wohnung, in der eine gefährdete Person wohnt. Unter den gleichen Voraussetzungen, unter denen eine Wegweisung nach Abs 1 leg cit zulässig ist, ermächtigt § 38a Abs 2 SPG Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zur Verhängung eines (befristeten) Betretungsverbotes.

 

Wegweisung und Betretungsverbot sind gleichermaßen an die Voraussetzung geknüpft, dass auf Grund bestimmter Tatsachen (Vorfälle) anzunehmen ist, ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit einer gefährdeten Person stehe bevor. Welche Tatsachen als solche iSd § 38a SPG in Frage kommen, sagt das Gesetz nicht (ausdrücklich). Diese Tatsachen müssen (auf Grund bekannter Vorfälle) die Annahme rechtfertigen, dass plausibel und nachvollziehbar bestimmte künftige Verhaltensweisen zu erwarten sein werden. Auf Grund des sich den einschreitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bietenden Gesamtbildes muss mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, dass ein gefährlicher Angriff im genannten Sinn durch den Wegzuweisenden bevorstehe. Dabei (bei dieser Prognose) ist vom Wissensstand des Beamten im Zeitpunkt des Einschreitens auszugehen.

 

Im Beschwerdefall wurde der Bf (am 26. Oktober 2008) aus der Wohnung weggewiesen und gleichzeitig mit einem Betretungsverbot belegt. Die belangte Behörde begründete eingehend, dass das Betretungsverbot ausschließlich auf unzureichende oder rechtlich verfehlte Gründe gestützt wurde.

 

Inwieweit die mit dem Betretungsverbot gleichzeitig ausgesprochene Wegweisung sich auf andere Erwägungen stützte bzw stützen konnte, wurde hingegen nicht hinreichend begründet. Die Abweisung der Beschwerde betreffend die Wegweisung wurde zudem aus folgenden weiteren Gründen nicht schlüssig begründet.

 

Nach den getroffenen Sachverhaltsfeststellungen gab die Ehegattin R an, weder geschlagen noch bedroht worden zu sein. Das festgestellte "Zulaufen auf eine Person mit angedeuteten Aggressionsabsichten", "Anschreien am heutigen Tag und ihr durch Drängen den Fluchtweg versperren" bzw "auf sehr geringe Distanz nahekommen" beurteilte die belangte Behörde (in rechtlicher Hinsicht) nicht als körperliche Gewaltanwendung. Insoweit dieses Verhalten des Bf (auch) als Art von Bedrohung gewertet wurde, hat die belangte Behörde übersehen, dass die Ehegattin R (nach den getroffenen Feststellungen) angegeben hat, nicht bedroht worden zu sein. Der angefochtene Bescheid enthält dazu (zu diesem Widerspruch) keine Begründung. Auch wurde über eine (im Rahmen der rechtlichen Beurteilung erörterte) "Häufung" derartiger Verhaltensweisen nichts Näheres festgestellt. Hingegen legte die belangte Behörde hinsichtlich des Betretungsverbotes "das Ziehen an den Haaren" als einzige (konkrete) Aggressionshandlung zu Grunde. Insoweit hingegen bei der Wegweisung ein "Schleifen an den Haaren" angesprochen wurde, übersieht die belangte Behörde, dass derartiges Verhalten bzw ein derartiger Vorfall nicht festgestellt wurde.

 

Auch waren die Angaben der Ehegattin R vage und unbestimmt; Feststellungen darüber wie lange die angedeuteten Handlungen zurücklagen, wurden nicht getroffen. Feststellungen darüber wären aber notwendig gewesen, weil die Indizwirkung früherer Vorfälle (die zu keinem Einschreiten von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes führten) bei größerem Zeitabstand zum Zeitpunkt der Prognose (26. Oktober 2008) relativiert wird.

 

Der angefochtene Bescheid enthält auch dazu, warum die belangte Behörde zu der Prognose kommen konnte, es sei ein gefährlicher Angriff durch den Bf (den Wegzuweisenden) bevorgestanden bzw mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten (anzunehmen) gewesen, keine hinreichenden Ausführungen. Da nur die Gefahr eines gefährlichen Angriffs die Befugnisausübung der Wegweisung rechtfertigte, genügte es nicht, dass - wie bei der Maßnahme des Betretungsverbotes angenommen wurde - ein solcher Angriff "keinesfalls auszuschließen gewesen wäre".