12.09.2012 Arbeitsrecht

VwGH: Verleihung eines zweiten Ingenieurstitels?

Der Verleihungstatbestand des § 2 IngG steht, ungeachtet der Möglichkeit, die Voraussetzungen auf verschiedene Weise zu erfüllen, einer neuerlichen Verleihung entgegen


Schlagworte: Ingenieur, keine mehrfache Verleihung
Gesetze:

§ 2 IngG

GZ 2011/07/0083, 22.12.2011

 

Der Bf bringt vor, dass er die Voraussetzung gem § 2 Z 1 IngG erfülle, zumal er am 16. März 1992 die Externistenreifeprüfung an einer Höheren Lehranstalt für Forstwirtschaft nach einem (inländischen) Lehrplan die Reifeprüfung abgelegt und in der Sektion Forstwirtschaft unter der Leitung eines Forstwirtes gearbeitet habe. Die Voraussetzungen bestünden unabhängig von jenen Voraussetzungen, die Grundlage für die Verleihung der Berechtigung zur Führung der Standesbezeichnung "Ingenieur" gem Bescheid vom 18. Februar 1988 gewesen seien. Die nunmehrigen Voraussetzungen seien auch erst nach diesem Bescheid eingetreten. Gem § 2 IngG bestehe kein Ermessen, die Berechtigung bei Vorliegen der Voraussetzungen zu verweigern.

 

"Ingenieur" sei eine Berufsbezeichnung für wissenschaftlich ausgebildete Fachleute auf technischem Gebiet in verschiedenen Fachbereichen. Ingenieure seien in einer (oder wie der Bf in mehreren) Fachrichtungen ausgebildet und tätig. Wesentliche Voraussetzung für die Verleihung sei nicht nur die Aneignung von theoretischem Wissen, sondern auch die Absolvierung umfangreicher fachbezogener Praxis. In Art 54 der Richtlinie 2005/36/EG werde klargestellt, dass auch nicht akademische Ausbildungsbezeichnungen, wie etwa der Ingenieur in anderen Mitgliedstaaten verwendet werden dürften. Ausbildung und Berufspraxis in einem bestimmten Fachbereich iSd § 2 IngG seien zentraler Gegenstand des Gesetzes sowie in den Gesetzesmaterialien, was die Interpretation des Begriffes "Standesbezeichnung" iSe "Berufsbezeichnung" und/oder "Ausbildungsbezeichnung" verdeutliche. Völlig unerheblich sei, dass - unabhängig von der konkreten Fachrichtung - der Ingenieurstitel keinen fachbezogenen Zusatz aufweise. Gem dem IngG könnten die Voraussetzungen zur Verleihung aus verschiedenen Fachbereichen bzw Fachgebieten erfüllt werden. Dass das jeweilige Fachgebiet dem Titel nicht beigefügt werde, ändere nichts an dem Anspruch, bei Erfüllung der Voraussetzungen auch einen weiteren Ingenieurstitel verliehen zu erhalten.

 

Darüber hinaus regte der Bf an, der VwGH möge einen Gesetzesprüfungsantrag beim VfGH stellen, weil der Begriff "Standesbezeichnung" verfassungskonform iSv "Ausbildungsbezeichnung" und/oder "Berufsbezeichnung" zu interpretieren und nicht iSd historischen Ständewesens zu verstehen sei und der VwGH bei gegenteiliger Sichtweise zu einem verfassungswidrigen Auslegungsergebnis komme.

 

Die belangte Behörde hält dem in ihrer Gegenschrift entgegen, gegen die Auffassung des Bf spreche, dass die Z 1 bis 4 des § 2 IngG nicht durch das Bindewort "und", sondern "oder" miteinander verbunden seien und daher eine kumulative Verleihung nach mehreren Bestimmungen des § 2 IngG nicht erfolgen könne. Die Standesbezeichnung "Ingenieur" sei nicht Voraussetzung für den Antritt eines Berufes oder einer weiterführenden Ausbildung sowie eine reine innerösterreichische Bezeichnung. Es seien mit dieser Standesbezeichnung keinerlei Rechte verbunden. Die Verletzung des gesetzlich gewährleisteten subjektiven Rechts auf Verleihung einer (weiteren) Berechtigung zur Führung der Standesbezeichnung sei nicht gegeben.

 

VwGH: Bei der Verleihung der Berechtigung zur Führung der Standesbezeichnung "Ingenieur" handelt es sich nicht um eine Ermessensentscheidung, sondern wäre die belangte Behörde vielmehr bei Vorliegen der im Gesetz genannten Voraussetzungen zur Verleihung der Berechtigung verpflichtet (arg. "ist" in § 2 IngG).

 

Die nach dem IngG zu verleihende Standesbezeichnung lautet undifferenziert "Ingenieur". Eine Hinzufügung des jeweiligen Fachgebietes (vgl §§ 1 f Ingenieurgesetz-Durchführungsverordnung 2006, BGBl II Nr 362/2006) ist nicht vorgesehen. Auch eine mehrfache Verleihung ist nicht normiert. Ein solcher Anspruch lässt sich jedoch - wie ein Vergleich mit Bestimmungen über die Verleihung akademischer Titel zeigt - auch nicht im Wege der Interpretation ableiten:

 

§ 87 Abs 4 UG 2002 normiert, dass in dem Fall, dass die Voraussetzungen für einen akademischen Grad mit demselben Wortlaut mehr als einmal erbracht werden, derselbe akademische Grad auch mehrfach zu verleihen ist. Dem IngG ist eine solche Anordnung nicht zu entnehmen. Vielmehr ergibt sich aus dem Wesen der Standesbezeichnung "Ingenieur", dass diese nur einmal verliehen werden kann.

 

Auch wenn als Voraussetzung für die Verleihung nach der alternativen Aufzählung des § 2 IngG nur die in einer Ziffer genannten Kriterien erfüllt sein (und diese also nicht kumulativ vorliegen) müssen, kann bei Erfüllen mehrerer Verleihungsvoraussetzungen des § 2 diese Standesbezeichnung nur einmal verliehen werden. Der Verleihungstatbestand des § 2 steht somit, ungeachtet der Möglichkeit, die Voraussetzungen auf verschiedene Weise zu erfüllen, einer neuerlichen Verleihung entgegen.

 

Mit der Verleihung des Ingenieurstitels mit dem Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft vom 18. Februar 1988 ist das Recht des Bf somit konsumiert und wurde der Antrag auf neuerliche Verleihung zu Recht abgewiesen.

 

Auch aus dem Vorbringen zur Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen lässt sich für den Standpunkt des Bf nichts gewinnen. Aus der Bezugnahme auf Aufnahme- und Herkunftsmitgliedstaat ergibt sich, dass ein grenzüberschreitender Sachverhalt vorliegen muss, der im Beschwerdefall nicht gegeben ist.

 

Der VwGH hegt keine Zweifel an der Verfassungskonformität des IngG im Allgemeinen sowie an dem Begriff der "Standesbezeichnung" im Besonderen, weshalb er der Anregung des Bf ein Gesetzesprüfungsverfahren beim VfGH zu beantragen, nicht beitritt.