19.09.2012 Sozialrecht

VwGH: Beitragsnachverrechung nach dem ASVG (iZm Verzicht auf Ansprüche im Rahmen eines Vergleiches)

Den Parteien eines Dienstvertrages steht es grundsätzlich frei, im Rahmen eines Vergleiches auf sämtliche, allenfalls über die Vergleichssummen hinausgehenden Ansprüche der Streitteile zu verzichten und im Rahmen einer "Generalklausel" sämtliche zwischen den Parteien wechselseitig (allenfalls) bestehenden Ansprüche als bereinigt und verglichen anzusehen; die Wirksamkeit einer derartigen Vereinbarung vorausgesetzt bleibt kein Raum, Entgeltbestandteile auf die verzichtet wurde, beitragsrechtlich zu berücksichtigen, weil die Anwendung des Anspruchsprinzips einen tatsächlich (noch) bestehenden Anspruch voraussetzt


Schlagworte: Allgemeines Sozialversicherungsrecht, allgemeine Beitragsgrundlage, Entgelt, Vergleich, Verzicht auf Ansprüche
Gesetze:

§ 44 ASVG, § 49 Abs 1 ASVG

GZ 2010/08/0195, 06.06.2012

 

Die Beschwerde bringt vor, die Gehaltsansprüche des M seien nach zivilrechtlichen Grundsätzen anhand des Arbeitsvertrags und des anzuwendenden Kollektivvertrags zu beurteilen. Der Kollektivvertrag sehe einen Verfall von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis vor. Überdies könne auf arbeitsrechtliche Ansprüche unter bestimmten Voraussetzungen wirksam verzichtet werden. In dem Vergleich sei festgehalten worden, dass sämtliche gegenseitigen Ansprüche bereinigt und verglichen wären.

 

VwGH: Für die Bemessung der allgemeinen Beiträge iSd § 44 iVm § 49 Abs 1 ASVG ist nicht lediglich das in den jeweiligen Beitragszeiträumen an die pflichtversicherten Dienstnehmer tatsächlich gezahlte Entgelt maßgebend, sondern, wenn es das tatsächlich gezahlte Entgelt übersteigt, jenes Entgelt, auf dessen Bezahlung bei Fälligkeit des Beitrages ein Rechtsanspruch des pflichtversicherten Dienstnehmers bestand. Welcher Entgeltanspruch besteht, ist nach zivilrechtlichen (arbeitsrechtlichen) Grundsätzen zu beurteilen. In jenen Fällen, in denen kollektivvertragliche Vereinbarungen in Betracht kommen, bildet zumindest das dem pflichtversicherten Dienstnehmer nach diesen Regelungen zustehende Entgelt die Beitragsgrundlage für die Sozialversicherungsbeiträge. Dies unabhängig davon, ob der Dienstnehmer das ihm zustehende Entgelt vom Dienstgeber fordert bzw ob ihm das zustehende Entgelt tatsächlich bezahlt wird.

 

Gem § 49 Abs 6 ASVG sind Versicherungsträger und die Verwaltungsbehörden an rechtskräftige Entscheidungen der Gerichte, in denen Entgeltansprüche des Dienstnehmers (Lehrlings) festgestellt werden, gebunden. Diese Bindung tritt nicht ein, wenn der gerichtlichen Entscheidung kein streitiges Verfahren vorangegangen ist oder ein Anerkenntnisurteil oder ein gerichtlicher Vergleich geschlossen wurde.

 

Da das Verfahren nicht ergeben hat, dass der zwischen dem Bf und M geschlossene gerichtliche Vergleich unwirksam, ein Scheingeschäft oder aus sonstigen Gründen nichtig wäre, ist dieser - zwar nicht wie eine rechtskräftige Entscheidung, jedoch - wie jede andere gültige privatautonome Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitsnehmer der Beitragsverrechnung zu Grunde zu legen.

 

Den Parteien eines Dienstvertrages steht es nämlich grundsätzlich frei, im Rahmen eines Vergleiches auf sämtliche, allenfalls über die Vergleichssummen hinausgehenden Ansprüche der Streitteile zu verzichten und - wie das im vorliegenden Fall geschehen ist - im Rahmen einer "Generalklausel" sämtliche zwischen den Parteien wechselseitig (allenfalls) bestehenden Ansprüche als bereinigt und verglichen anzusehen. Die Wirksamkeit einer derartigen Vereinbarung vorausgesetzt bleibt kein Raum, Entgeltbestandteile auf die verzichtet wurde, beitragsrechtlich zu berücksichtigen, weil die Anwendung des Anspruchsprinzips einen tatsächlich (noch) bestehenden Anspruch voraussetzt (vgl die hg Erkenntnisse vom 3. September 1996, 96/08/0022, vom 21. September 1999, 97/08/0073 und - für den Fall eines außergerichtlichen Vergleichs - vom 4. Juni 2008, 2005/08/0044). Daran ändert der Umstand nichts, dass in dem - nicht der Rechtskraft fähigen und daher keine Bindungswirkung auslösenden - Vergleich ein Einvernehmen über das Faktum bekundet wurde, dass M im Rahmen des Dienstverhältnisses als Facharbeiter tätig gewesen sein soll (wozu noch kommt, dass die belangte Behörde dies ohnehin für unglaubwürdig hält).

 

Der angefochtene Bescheid - der in seinem Spruch überdies nicht auf die in Ansehung der Einspruchsanträge bereits eingetretene Teilrechtskraft des erstinstanzlichen Bescheides Bedacht genommen hat - war gem § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.