14.11.2012 Verwaltungsstrafrecht

VwGH: Strafvollzug durch elektronisch überwachten Hausarrest

Dass eine bestimmte Tätergruppe vom Anwendungsbereich der Vollzugsform des EÜH von vornherein auszunehmen wäre, trifft nach der geltenden Rechtslage nicht zu; § 266 Abs 1 StPO ist nicht von den Vollzugsbehörden, sondern immer ausschließlich von dem erkennenden Strafgericht anzuwenden


Schlagworte: Strafvollzug durch elektronisch überwachten Hausarrest, Missbrauchsgefahr, Prognose, Vergewaltigung
Gesetze:

§ 156b StVG, § 156c StVG, § 20 StVG, § 266 StPO, § 201 StGB

GZ 2012/01/0119, 11.10.2012

 

Die Amtsbeschwerde macht geltend, der angefochtene Bescheid sei infolge unrichtiger Anwendung "des § 156c Abs 1 StVG" rechtswidrig. Sie bringt dazu vor, im Rahmen der Prognoseentscheidung nach § 156c Abs 1 StVG sei nicht nur das auffällige Verhalten des M gegenüber den weiblichen Mitgliedern im Hundesportverein, sondern auch zu berücksichtigen, dass der Verurteilte seine Taten (Vergewaltigung) zu keinem Zeitpunkt zugestanden sondern verharmlost habe; es mangle ihm "offensichtlich an der Deliktseinsicht und an einem daher einhergehenden Problembewusstsein". Außerdem stehe die Mitgliedschaft beim Hundesportverein nicht zwingend mit der beruflichen Tätigkeit als Händler für Futtermittel im Zusammenhang. Nach der Stellungnahme der BEST zeige der Verurteilte Probleme in der Bindungsfähigkeit und der sexuellen Selbstregulation und habe eine Neigung zum problematischen Alkoholkonsum sowie zu erhöhter Aggressionsbereitschaft (unter Alkohol). Der Wechsel des Arbeitsplatzes und die Weisung zu absolutem Alkoholverbot könnten die in der Verurteilung liegenden Risikofaktoren nicht mindern. Es sei daher von "einer begründeten Befürchtung des Missbrauches der Vollzugsform" auszugehen.

 

VwGH: Mit diesen Ausführungen zeigt die Amtsbeschwerde keine Rechtswidrigkeit in der Prognosebeurteilung der belangten Behörde auf.

 

Wie der VwGH zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 156c Abs 1 Z 4 StVG bereits wiederholt dargelegt hat, stellt die Einschätzung, ob die Gefahr besteht, der Verurteilte werde die Vollzugsform des elektronisch überwachten Hausarrests missbrauchen, eine Prognosebeurteilung dar, bei der vor dem Hintergrund der in den Gesetzesmaterialien genannten Aspekte auf die Wohnverhältnisse, das soziale Umfeld und allfällige Risikofaktoren abzustellen ist. Bei der Erstellung dieser Prognose besteht für die Strafvollzugsbehörden ein Beurteilungsspielraum, wobei die Entscheidung anhand der dargestellten Kriterien zu begründen ist.

 

Die belangte Behörde hat ihre Prognoseentscheidung anhand der dargestellten Kriterien begründet und ihren dabei bestehenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten.

 

Die in der Amtsbeschwerde behauptete fehlende Deliktseinsicht des M findet selbst in der Äußerung der BEST keine Deckung, da sie auf diese Frage überhaupt nicht eingegangen ist. Die BEST stützt sich nämlich ausschließlich auf Aussagen, die dem lange zurückliegenden gerichtlichen Strafverfahren entnommen wurden. Das von der BEST dargelegte Persönlichkeitsbild des M beruht auf Grundlagen aus der Zeit vor der strafgerichtlichen Verurteilung. Demgegenüber ist der M danach während eines Zeitraumes von (im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides) mehr als 5 Jahren strafgerichtlich nicht in Erscheinung getreten. Nach dem Bericht von NEUSTART Salzburg vom 15. Mai 2012 ergaben die Erhebungen keine Anhaltspunkte dafür, dass ein Missbrauch der Vollzugsform durch den M zu befürchten wäre.

 

Die Auffassung der belangten Behörde, die auf Grund der im angefochtenen Bescheid dargelegten, nicht als unschlüssig zu erkennenden Erwägungen zu dem Ergebnis gelangte, die auf lange zurückliegenden Beurteilungsgrundlagen beruhende Einschätzung der BEST sei - angesichts des Umstandes, dass M seit den letzten Tathandlungen mehr als 6 Jahre in Freiheit war und keinen Anlass zu strafgerichtlichem Vorgehen geboten hat - für sich nicht ausreichend, um einen Missbrauch der Vollzugsform mit Grund zu befürchten, ist daher - auch vor dem Hintergrund des Beschwerdevorbringens - nicht als rechtswidrig zu erkennen; dass für einen Missbrauch der Vollzugsform durch den auch während der Jahre seit der Verurteilung auf freiem Fuß befindlichen M konkrete Anhaltspunkte bestünden, behauptet die Amtsbeschwerde selbst nicht.

 

Aus welchem Grund aber das M erteilte absolute Alkoholverbot nicht risikomindernd sei, wird in der Amtsbeschwerde nicht einmal ansatzweise dargetan.

 

Die Amtsbeschwerde macht noch geltend, die belangte Behörde hätte "vor dem Hintergrund des vorliegenden Delikts bei zudem nicht geständiger Verantwortung des Verurteilten im Strafverfahren" im Hinblick auf die "Zwecke des Strafvollzuges iSd § 20 StVG" die Vollzugsform des EÜH nicht bewilligen dürfen. Vorliegend bedürfe es des "geschlossenen Vollzuges", um dem M den Unwert des der Verurteilung zugrunde liegenden Verhaltens aufzuzeigen. Hinzutrete auch der "generalpräventive Gedanke". Im konkreten Fall sei auch zu berücksichtigen, dass das Urteilsgericht von der "Möglichkeit des § 266 StPO" noch keinen Gebrauch habe machen können, weil das Urteil 2007 vor Inkrafttreten "dieser mit jenen über den Hausarrest eingeführten Bestimmung ergangen ist".

 

Auch mit diesen Ausführungen zeigt die Amtsbeschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

 

Wie der VwGH bereits dargelegt hat, ist der EÜH nach dem Willen des Gesetzgebers eine besondere Vollzugsform der Freiheitsstrafe. Der EÜH ist nicht bloß ein gelinderes Mittel. Zur Strafhaft im engeren Sinn gehören auch die im EÜH verbrachten Zeiten.

 

Mit der Behauptung, die Vollzugsform des EÜH entspräche bei Delikten wie dem von M begangenen nicht den Zwecken des Strafvollzuges, entfernt sich die Amtsbeschwerde vom Gesetz. Diesem liegt eine solche Einschränkung der Bewilligung des EÜH nämlich nicht zu Grunde. Die Strafvollzugsbehörde ist im Grunde des StVG auch nicht ermächtigt, die Bewilligung des EÜH aus generalpräventiven Erwägungen, die in den Bewilligungsvoraussetzungen keinen Niederschlag gefunden haben, zu verweigern.

 

Dass eine bestimmte Tätergruppe vom Anwendungsbereich der Vollzugsform des EÜH von vornherein auszunehmen wäre, trifft nach der geltenden Rechtslage nicht zu.

 

Entgegen der Ansicht der Amtsbeschwerde ist die am 1. September 2010 in Kraft getretene Bestimmung des § 266 Abs 1 StPO niemals (also weder vor dem 1. September 2010 noch nach diesem Zeitpunkt) von den Vollzugsbehörden, sondern immer ausschließlich von dem erkennenden Strafgericht anzuwenden. Bei dem Ausspruch nach § 266 Abs 1 StPO handelt es sich um einen Ausspruch über die Strafe durch das erkennende Strafgericht. Eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides kann aus der Bestimmung des § 266 Abs 1 StPO nicht abgeleitet werden.