22.01.2013 Sozialrecht

VwGH: Ruhen des Arbeitslosengeldes auf Grund Auslandsaufenthalt des Arbeitslosen – Gewährung von Nachsicht gem § 16 Abs 3 AlVG (hier: iZm Ausbildung / Fortbildung)

Voraussetzung für eine nach § 16 Abs 3 AlVG berücksichtigungswürdige Ausbildung ist, dass diese Ausbildung im Inland nicht oder nicht in dieser Qualität angeboten wird


Schlagworte: Arbeitslosenversicherungsrecht, Ruhen des Arbeitslosengeldes, Auslandsaufenthalt, Nachsicht, Ausbildung / Fortbildung, berücksichtigungswürdige Umstände
Gesetze:

§ 16 AlVG

GZ 2009/08/0295, 22.02.2012

 

VwGH: Gem § 16 Abs 3 AlVG ist auf Antrag des Arbeitslosen das Ruhen des Arbeitslosengeldes gem Abs 1 lit g bei Vorliegen berücksichtigungswürdiger Umständen nach Anhörung des Regionalbeirates bis zu drei Monate während eines Leistungsanspruches (§ 18) nachzusehen. Berücksichtigungswürdige Umstände sind Umstände, die im Interesse der Beendigung der Arbeitslosigkeit gelegen sind, insbesondere wenn sich der Arbeitslose ins Ausland begibt, um nachweislich einen Arbeitsplatz zu suchen oder um sich nachweislich beim Arbeitgeber vorzustellen oder um sich einer Ausbildung zu unterziehen, oder Umstände, die auf zwingenden familiären Gründen beruhen.

 

Bei Vorliegen berücksichtigungswürdiger Umstände iS dieser Bestimmung ist Nachsicht zwingend zu erteilen.

 

Die Möglichkeit der Berücksichtigung einer Ausbildung im Ausland als Nachsichtsgrund wurde durch die AlVG-Novelle 1989 geschaffen. Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage führten diesbezüglich (zur damaligen Fassung des § 16 Abs 3 AlVG) aus:

 

"(…) Der Auslandsaufenthalt soll nach Anhörung des Vermittlungsausschusses grundsätzlich für acht Wochen möglich sein, in besonderen Fällen aber auch länger, wie zB im Falle einer Ausbildungsmaßnahme im Ausland, die in Österreich nicht durchgeführt werden kann."

 

Nach dem Erkenntnis vom 4. April 2002, 99/08/0001, zur Gewährung von Nachsicht muss die Ausbildung - so die genannte Bestimmung für die Gewährung der Nachsicht - "im Interesse der Beendigung der Arbeitslosigkeit" gelegen sein. Weitere Bedingungen sind an die für die Nachsicht vorausgesetzten "berücksichtigungswürdigen Umstände", von denen das Gesetz drei Fälle, in denen sich der Arbeitslose ins Ausland begeben hat, hervorhebt ("insbesondere" Arbeitsplatzsuche, Vorstellung beim Arbeitgeber und Ausbildung), nicht geknüpft. Im Gegensatz zu den beiden Tatbeständen der Arbeitsplatzsuche und der Vorstellung bei einem Arbeitgeber, hinsichtlich derer der zu Grunde liegende Sachverhalt konkret darauf untersucht werden kann, ob der Auslandsaufenthalt im Interesse der Beendigung der Arbeitslosigkeit gelegen ist, handelt es sich bei der "Ausbildung" um einen allgemein umschriebenen abstrakten Nachsichtsgrund, bei dem zu prüfen ist, ob das in der Ausbildung erworbene Wissen oder die dabei erworbenen Fähigkeiten an sich geeignet sind, die Vermittlungschancen des Arbeitslosen am Arbeitsmarkt zu verbessern. Dabei ist etwa auch an Arbeitsplätze zu denken, für die die zu beurteilende Ausbildung zwar nicht unmittelbare Einstellungsvoraussetzung ist, bei denen jedoch der potentielle Arbeitgeber an einer Einstellung auf Grund der spezifischen (höheren) Qualifikation des Arbeitslosen und dessen Engagement für eine Ausbildung in höherem Maße interessiert ist, als er es ohne diese Ausbildung des Arbeitslosen gewesen wäre.

 

Der Bf führt aus, es liege im höchsten Interesse an der Beendigung seiner Arbeitslosigkeit, dass er seine Fremdsprachenkenntnisse vertiefe und erweitere. Wenn der Bf Italienisch in Rom und Englisch in Malta lerne, erwerbe er dabei Kenntnisse und Fähigkeiten, die seine Chancen am allgemeinen Arbeitsmarkt deutlich erhöhten. Dabei sei der Erfolg einer derartigen Sprachausbildung bei weitem höher, wenn eine Sprachausbildung in jenem Land absolviert werde, in dem die zu erlernende Sprache auch tatsächlich gesprochen werde. Zum Spracherwerb führe nicht bloß das theoretische Erlernen der Grammatik einer Sprache und die kurzfristige linguistische Sprachübung in einem Kurs, sondern wesentlich die tatsächliche Ausübung der neu erlernten Sprache bzw "Sprachteile" gemeinsam mit Menschen, die die zu erlernende Sprache als Muttersprache beherrschten. Durch die sofortige Verwendung der erworbenen Lerninhalte und insbesondere durch das Hören der erworbenen Lerninhalte von Personen, die diese Sprache als Muttersprache sprächen, funktioniere der Spracherwerb nicht nur rascher, sondern auch sicherer und va mit einem besseren Akzent. Nur wenn die neu zu erwerbende Sprache ständig gehört werde und die Möglichkeit bestehe, die erlernten neuen "Sprachteile" auch ständig anzuwenden, sei der Spracherwerb nicht bloß theoretisch, sondern praktisch und nachhaltig und sohin auch tatsächlich erfolgreich.

 

Der Bf führt unter Verweis auf die Erkenntnisse vom 19. Mai 1992, 91/08/0177, und vom 8. März 1994, 93/08/0099, aus, der VwGH habe bereits in einer Vielzahl von Erkenntnissen ausgesprochen, dass die Behörde verpflichtet sei, das Ruhen des Arbeitslosengelds nachzusehen, wenn iSd § 16 AlVG Ausbildungsmaßnahmen vom Arbeitslosen gesetzt würden, die in Österreich nicht oder nicht in dieser Qualität angeboten würden.

 

Beim gegenständlichen Fall sei ausschließlich entscheidungsrelevant, ob der Besuch der Ausbildungsveranstaltung in Rom und in Malta durch den Bf als Ausbildungsmaßnahme iSd § 16 Abs 3 AlVG anzusehen sei und im Interesse der Beendigung der Arbeitslosigkeit des Bf gelegen sei.

 

Diese Aspekte habe die belBeh vollkommen außer Acht gelassen, wenn sie ihre abweisende Entscheidung ausschließlich auf das Argument stütze, dass eine entsprechende Ausbildung auch im Inland erworben werden könne. Die belangte Behörde habe lediglich eine pauschale Aussage darüber getroffen, dass man angeblich in Österreich Englisch und Italienisch genauso gut lernen könne, wie in Italien bzw in Malta. Eine Begründung dafür habe die belBeh aber nicht getroffen.

 

De belBeh lasse auch unberücksichtigt, dass der Bf bei der Arbeitsplatzsuche bereits deshalb einen Vorteil habe, weil der Arbeitgeber erkennen müsse, dass der Arbeitslose ein besonderes Engagement zeige, dies allein wegen der Tatsache, dass der Bf sich nachhaltig bemüht habe, seinen Ausbildungsstand zu verbessern, indem er einen lang andauernden Auslandsaufenthalt in Kauf nehme, damit er die Sprache in jenem Land, wo die Sprache auch gesprochen werde, tatsächlich gut lerne. Überdies erweitere sich für den Arbeitslosen durch den Spracherwerb der Arbeitsmarkt insofern, als dann, wenn er Englisch und Italienisch sehr gut beherrsche, mehr Arbeitgeber in Frage kämen, nämliche solche, die internationale Kunden hätten.

 

Zu diesem Vorbringen ist zunächst festzuhalten, dass der Bf im Verwaltungsverfahren die von ihm angestrebte Sprachausbildung mit dem Abschluss international standardisierter Sprachexamen (TOEFL, DALF/DELF und DELE) verknüpft und diesen Abschluss als Ziel der Ausbildung angegeben hat. Diese Sprachexamen stellten laut Bf ein entscheidendes Kriterium für seine weitere berufliche Entwicklung dar.

 

Dazu hat die belBeh festgestellt, dass Ausbildungen, die zum Erwerb dieser Zertifikate führen, auch in Österreich angeboten werden. Dieser Feststellung tritt der Bf nur mit der Behauptung entgegen, dass die belBeh dafür keine Begründung getroffen habe, ohne allerdings die Feststellung selbst in Zweifel zu ziehen. Die Feststellung der belBeh begegnet daher keinen Bedenken und es ist davon auszugehen, dass das Erreichen der vom Bf angestrebten Zertifikate auch nach einer Ausbildung in Österreich möglich gewesen wäre.

 

Voraussetzung für eine nach § 16 Abs 3 AlVG berücksichtigungswürdige Ausbildung ist aber, dass diese Ausbildung im Inland nicht oder nicht in dieser Qualität angeboten wird.

 

Der belBeh kann daher nicht entgegengetreten werden, wenn sie - auch wenn die Absolvierung einer Sprachausbildung in Kombination mit einem Aufenthalt in einem Land, in dem diese Sprache gesprochen wird, für den Bf Vorteile bieten mag - aufgrund der Möglichkeit, die vom Bf angestrebten Zertifikatsabschlüsse auch im Inland zu erreichen, zum Ergebnis gekommen ist, dass kein besonders berücksichtigungswürdiger Grund iSd § 16 Abs 3 AlVG vorliegt. Es kann daher auch dahingestellt bleiben, ob die Absolvierung einer Ausbildung (im vorliegenden Fall eher: einer Fortbildung) mit einer Dauer von knapp zehn Monaten - und damit für einen weit längeren Zeitraum als der möglichen Höchstdauer einer Nachsicht nach § 16 Abs 3 AlVG - noch als im unmittelbaren Interesse der Beendigung der Arbeitslosigkeit gelegen angesehen werden kann.