27.02.2013 Verkehrsrecht

VwGH: Entziehung der Lenkberechtigung iZm Verkehrsunfall mit Todesfolge und Fahrerflucht bei (behaupteter) Zurechnungsunfähigkeit?

Liegen Anhaltspunkte (wie insbesondere das Fehlen eines - ansonsten typischen - Bremsvorganges nach der Kollision mit der Passantin sowie die behauptete Einnahme eines Medikamentes, das zur Bewusstlosigkeit führen kann) für ein, das - offenkundig für mehrere Außenstehende geradezu sonderbare - Verhalten des Bf nach dem Unfall auslösendes, Geschehen vor, welches zumindest geeignet sein konnte, die Vorwerfbarkeit des Verhaltens iSd § 4 Abs 2 StVO auszuschließen, kann von der Einholung eines medizinischen Gutachtens über die Zurechnungsfähigkeit des Bf nicht abgesehen werden


Schlagworte: Straßenverkehrsrecht, Führerscheinrecht, Verkehrsunfall mit Todesfolge, Fahrerflucht, Zurechnungsfähigkeit, Entziehung der Lenkberechtigung, Einholung eines medizinischen Gutachtens
Gesetze:

§ 4 Abs 2 StVO, § 3 FSG, § 7 FSG, § 24 FSG, § 45 Abs 2 AVG, § 52 AVG, § 3 VStG

GZ 2011/11/0214, 16.10.2012

 

Die belBeh stützt den angefochtenen Bescheid auf ihre Annahme, im Falle des Bf liege eine bestimmte Tatsache iSd § 7 Abs 3 Z 5 FSG vor. Der Bf habe am 18. Juli 2011 um ca 13:45 Uhr einen Pkw auf näher bezeichneten Straßen mit öffentlichem Verkehr in Linz gelenkt. In der P.straße sei er links von der Fahrbahn abgekommen und habe eine auf dem Gehsteig stehende Fußgängerin niedergestoßen, die dabei auf der Stelle getötet worden sei. Der Bf, der nicht angehalten habe, habe anschließend einen Lichtmast, einen Leitpflock, einen weiteren Lichtmast sowie eine Standsäule umgefahren und sei noch gegen einen am rechten Fahrbahnrand der F.straße abgestellten Pkw gestoßen. Erst danach sei er zum Stillstand gekommen. Der Bf sei ausgestiegen, habe sich umgeblickt, sei jedoch danach wieder in seinen Pkw eingestiegen und mit dem schwer beschädigten Fahrzeug zur nächsten Werkstätte gefahren. Anschließend sei er zu Fuß Richtung Unfallstelle gegangen, wo er von einem inzwischen an der Unfallstelle amtshandelnden Polizeibeamten angetroffen worden sei. Die beim Bf vorgenommene Messung der Atemluft habe einen Atemluftalkohol von 0,00 mg/l ergeben. Der Bf habe zu diesem Zeitpunkt einen teilnahmslosen und verwirrten Eindruck gemacht. Einem von der Staatsanwaltschaft Linz eingeholten Gutachten eines Sachverständigen für das Kraftfahrwesen zufolge habe die Anstoßgeschwindigkeit bei der Kollision mit der Fußgängerin ca 50 km/h betragen, bei der Kollision mit dem ersten Laternenmast ebenfalls ca 50 km/h, bei der mit dem zweiten Laternenmast - bedingt durch den kollisionsbedingten Geschwindigkeitsabbau - ca 40 bis 45 km/h und bei der mit dem abgestellten Fahrzeug ca 30 km/h.

 

Der Bf bringt vor, die Feststellungen seien unvollständig geblieben:

 

Er habe in seiner niederschriftlichen Einvernahme am 31. Juli 2011 angegeben, dass er betreffend die Unfallfahrt nur eine eingeschränkte Erinnerung habe, dass er von der P.straße links in die F.straße habe einbiegen wollen, dass ihm "ab da" jede Erinnerung fehle und für ihn völlig unerklärlich sei, warum er nach dem Unfall zur Werkstätte gefahren sei. Der Zeuge MH habe angegeben, dass der Bf mit seinem Pkw ohne ersichtlichen Grund nach links abgekommen sei und daraufhin immer schneller geworden sei und die Fußgängerin angefahren hätte, was für den Zeugen "sehr komisch" gewesen sei, weil der Bf bereits in der P.straße auf die Gegenverkehrsfahrbahn geraten sei, weshalb der Zeuge vermutet hätte, dass der Bf eingeschlafen wäre. Der Zeuge FF, zu dem der Bf das beschädigte Fahrzeug in die Werkstätte gebracht habe, habe ausgesagt, dass der Bf zerstreut und gestresst gewirkt habe. Der Bf hat schließlich vorgebracht, den vorläufigen Entlassungsbericht des AKH Linz, in dem er in stationärer Behandlung gewesen sei, und zwar wegen "Synkope unklarer Genese", vorgelegt zu haben. Das Unfallgeschehen sei nach Auffassung des Bf, der selbst Arzt sei, durch eine vollständige Bewusstlosigkeit ausgelöst worden, der nachfolgend eine vorübergehende massive Bewusstseinstrübung gefolgt sei, welcher Zustand höchstwahrscheinlich durch das Blutdruckmedikament B. ausgelöst worden sei, welches vom Bf seit Jahren ohne jedwede Begleiterscheinungen eingenommen werde. Im AKH Linz sei kein neurologisches Substrat für die stattgehabte Bewusstlosigkeit gefunden worden. Beim vom Bf eingenommenen Bluthochdruckmedikament B. seien Schwindel, Drehgefühl und niedriger Blutdruck sowie infolgedessen Gefühl von Ohnmacht oder Schwindel bekannt.

 

Im Berufungsverfahren hat der Bf weiters den Abschlussbericht des Stadtpolizeikommandos Linz zum gegenständlichen Verkehrsunfall vorgelegt. Neben der bereits erwähnten Aussage des Zeugen MH findet sich darin auch die Aussage der Zeugin HH, derzufolge der Bf, als er aus seinem Fahrzeug gestiegen sei, die auf den Schienen liegende (niedergestoßene) Passantin nicht habe sehen können. Überdies findet sich die Aussage des Zeugen FF, derzufolge der Bf, als er in die Werkstätte gekommen sei, gesagt hätte, dass er einen Unfall gehabt, dabei aber keinen Menschen getötet hätte.

 

Ohne auf dieses Vorbringen einzugehen oder ein medizinisches Gutachten über den Zustand des Bf bei und im Gefolge des Verkehrsunfalls einzuholen, begründet die belBeh ihre Annahme des Vorliegens einer bestimmten Tatsache nach § 7 Abs 3 Z 5 FSG damit, dass es nach stRsp des VwGH bereits aufgrund eines "situationsbezogenen" Verhaltens eines Kraftfahrzeuglenkers entbehrlich sei, ein ärztliches Gutachten über dessen Zurechnungsfähigkeit einzuholen. Das Verhalten des Bf nach dem Verkehrsunfall, nämlich das Aussteigen und kurz Zurücksehen, das Weiterfahren zur Werkstätte (einer Fachwerkstätte der entsprechenden Fahrzeugmarke) und das Zurückgehen zum Tatort, sei offenbar zielgerichtet "und in diesem Sinne auch erfolgreich" gewesen.

 

Was die Wertung der bestimmten Tatsache anlange, so sei das Imstichlassen eines tödlich verletzten Unfallopfers schon an sich verwerflich, die Annahme einer Verkehrsunzuverlässigkeit für die Dauer von (insgesamt) 10 Monaten gerechtfertigt.

 

VwGH: Der belBeh ist beizupflichten, dass sie mangels Vorliegens einer rechtskräftigen Bestrafung des Bf wegen einer Übertretung nach § 4 Abs 2 StVO ermächtigt war, selbst die Beurteilung, ob der Bf eine Übertretung dieser Bestimmung zu verantworten hat, vorzunehmen.

 

Soweit sie sich dabei iZm der Frage der Vorwerfbarkeit des Verhaltens des Bf auf Rsp des VwGH bezieht, ist ihr zunächst entgegenzuhalten, dass diese Judikatur zu einem Großteil zu Fällen der Verweigerung der Kontrolle der Atemluft auf Alkohol ergangen ist, wobei diese Fälle jeweils nicht annähernd situativ mit dem Beschwerdefall vereinbar sind.

 

Es trifft zwar zu, dass der VwGH in seiner bisherigen Judikatur in Fällen unterlassener Verständigung der Polizeidienststelle nach einem Unfall regelmäßig die Auffassung vertreten hat, dass dann, wenn das Verhalten des Betreffenden nach dem Unfall - entsprechend den von der Behörde verwerteten Angaben von Zeugen oder dem Betreffenden selbst - "zielgerichtet und in diesem Sinn auch erfolgreich" war, von der Einholung eines medizinischen Gutachtens über die Zurechnungsfähigkeit des Betreffenden abgesehen werden kann. Bei den diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Fällen handelt es sich aber durchgehend nicht um solche, bei denen wie im Beschwerdefall zumindest Anhaltspunkte (wie insbesondere das Fehlen eines - ansonsten typischen - Bremsvorganges nach der Kollision mit der Passantin sowie die behauptete Einnahme eines Medikamentes, das zur Bewusstlosigkeit führen kann) für ein, das - offenkundig für mehrere Außenstehende geradezu sonderbare - Verhalten des Bf nach dem Unfall auslösendes, Geschehen vorlagen, welches zumindest geeignet sein konnte, die Vorwerfbarkeit des Verhaltens iSd § 4 Abs 2 StVO auszuschließen.

 

Die belBeh durfte demnach nicht, ohne sich mit dem Vorbringen des Bf im Berufungsverfahren auseinanderzusetzen und ohne es einer Beweiswürdigung zu unterziehen, unter bloßer Bezugnahme auf Leitsätze der hg Judikatur die Zurechnungsfähigkeit des Bf im relevanten Zeitraum bejahen.