05.09.2016 Wirtschaftsrecht

VwGH: Zur Frage, welcher Standard an Leistungsfähigkeit durch alternative Nachweise (iSd § 74 Abs 2 BVergG 2006) zu belegen ist

Schon im Hinblick auf den in § 19 Abs 1 BVergG 2006 verankerten Grundsatz der Gleichbehandlung aller Bieter ist davon auszugehen, dass die in § 70 Abs 5 BVergG 2006 enthaltene Grundregel, wonach die vom Bieter alternativ vorgelegten Unterlagen die gleiche Aussagekraft haben müssen wie die ursprünglich vom Auftraggeber festgelegten Unterlagen, auch im Anwendungsbereich des § 74 Abs 2 BVergG 2006 maßgeblich ist; die alternativ vorgelegten Unterlagen müssen daher nicht nur geeignet sein, die finanzielle und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit (abstrakt) darzutun, sondern es muss damit das gleiche Niveau an Eignung nachgewiesen werden, das der Auftraggeber mit den ursprünglich von ihm verlangten Unterlagen nachgewiesen haben wollte; ein Grundsatz, wonach von der Eignungsprüfung abgesehen werden kann, wenn ein anderer öffentlicher Auftraggeber - und sei es vor kurzem - eine solche vorgenommen hat, findet sich im Vergaberecht nicht


Schlagworte: Vergaberecht, Eignungsnachweise, Nachweis der finanziellen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, Bonitätsauskunft, alternative Nachweise
Gesetze:

 

§ 70 BVergG 2006, § 74 BVergG 2006

 

GZ Ra 2015/04/0085, 04.07.2016

 

Die Revisionswerberin bringt vor, iSd §§ 70 Abs 5 und 74 Abs 2 BVergG 2006 könne nur die Art des Nachweises, nicht aber das nachzuweisende Eignungsniveau substituiert werden. Bieter, die alternative Nachweise vorlegen, dürften nicht dadurch bevorzugt werden, dass sie nur einen geringeren Eignungsstandard nachweisen müssen. Das VwG sei aber zumindest implizit davon ausgegangen, dass es nicht erforderlich sei, mit den alternativen Nachweisen eine Leistungsfähigkeit gleichwertig mit einem (von der Auftraggeberin verlangten) KSV-Rating von 100 bis 350 darzutun. Das VwG habe lediglich eine nicht näher bestimmte finanzielle und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit angenommen. Im Hinblick auf die Aussage des Zeugen O in der mündlichen Verhandlung stehe zudem auf Sachverhaltsebene fest, dass die Auftraggeberin die Gleichwertigkeit im dargestellten Sinn nicht geprüft habe.

 

VwGH: Hinsichtlich der Substitution der vom Auftraggeber verlangten Eignungsnachweise durch andere Nachweise aus einem gerechtfertigten Grund enthält § 74 Abs 2 BVergG 2006 für die finanzielle und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eine gegenüber der allgemeinen Regelung des § 70 Abs 5 BVergG 2006 speziellere Regelung. Schon im Hinblick auf den in § 19 Abs 1 BVergG 2006 verankerten Grundsatz der Gleichbehandlung aller Bieter ist aber davon auszugehen, dass die in § 70 Abs 5 BVergG 2006 enthaltene Grundregel, wonach die vom Bieter alternativ vorgelegten Unterlagen die gleiche Aussagekraft haben müssen wie die ursprünglich vom Auftraggeber festgelegten Unterlagen, auch im Anwendungsbereich des § 74 Abs 2 BVergG 2006 maßgeblich ist. Die alternativ vorgelegten Unterlagen müssen daher nicht nur geeignet sein, die finanzielle und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit (abstrakt) darzutun, sondern es muss damit das gleiche Niveau an Eignung nachgewiesen werden, das der Auftraggeber mit den ursprünglich von ihm verlangten Unterlagen nachgewiesen haben wollte.

 

Zwar kommt der Auftraggeberin die Befugnis zu, das Niveau an (hier:) finanzieller und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit (innerhalb der Schranken des § 70 Abs 1 BVergG 2006) festzulegen. Allerdings ist sie in der Folge bei der Eignungsprüfung - und somit auch bei der Prüfung der alternativ vorgelegten Nachweise - an diese (bestandfeste) Festlegung gebunden und hat hinsichtlich aller Bieter den gleichen Maßstab zugrunde zu legen.

 

Fallbezogen wäre daher zu prüfen gewesen, ob die vom Auftraggeber alternativ herangezogenen Unterlagen (Liste über die vergebenen öffentlichen Aufträge, Bestätigungen von Finanzamt und Gebietskrankenkasse, Auskunft des KSV sowie der Hausbank der R GmbH) hinsichtlich ihrer Aussagekraft einem nachgewiesenen KSV-Rating zwischen 100 und 350 gleichwertig sind. Dabei wäre nachvollziehbar in Anschlag zu bringen gewesen, dass - worauf die Revision hinweist - ein KSV-Rating bis 399 (und somit über den hier festgelegten Höchstwert von 350 hinaus) gemäß den Angaben des KSV (auf www.ksv.at) ein unterdurchschnittliches Ausfallsrisiko bedeutet.

 

Der Begründung des Vorliegens der finanziellen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der R GmbH im angefochtenen Erkenntnis lässt sich nicht entnehmen, dass dabei auf das durch ein KSV-Rating von 100 bis 350 nachgewiesene Eignungsniveau abgestellt wurde. Vielmehr ergibt sich aus der im angefochtenen Erkenntnis zusammengefasst wiedergegebenen, vom VwG tragend herangezogenen Aussage des Zeugen O, dass bei der Beurteilung der - als "besonders aussagekräftig" angesehenen - Liste der an die R GmbH vergebenen öffentlichen Aufträge gerade "nicht auf eine Gleichwertigkeit mit dem in der Ausschreibung geforderten Rating von 100 bis 350 abgestellt" worden sei. Die Vornahme einer Gleichwertigkeitsprüfung bei Beurteilung der alternativ vorgelegten Unterlagen ist somit nicht erkennbar.

 

Nach Auffassung der Revisionswerberin sei die Bejahung der geforderten finanziellen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der R GmbH durch das VwG im Ergebnis verfehlt gewesen. Maßgeblich bei der Eignungsprüfung sei, ob der Bieter über ausreichende Mittel verfüge, um die laufende Pflichterfüllung gegenüber der Auftraggeberin und anderen Vertragspartnern zu gewährleisten. Aus den Bestätigungen von Finanzamt und Gebietskrankenkasse gehe lediglich hervor, dass die vorhandenen Mittel für die Befriedigung der öffentlichen Gläubiger ausreichend seien, über das Vorhandensein ausreichender Mittel für die Befriedigung anderer Gläubiger sei darin nichts enthalten. Auch die Bestätigungen des KSV und der Hausbank (über die in der Vergangenheit erfolgte Begleichung von Verbindlichkeiten) sei ungeeignet, um über die zukünftig zur Verfügung stehenden Mittel Auskunft zu geben. Die Liste über die in der Vergangenheit an die R GmbH erteilten öffentlichen Aufträge sei ohne Kenntnis der jeweiligen Auftragssummen, der Art der dort durchgeführten Prüfungsschritte bzw der dort verlangten Eignungsstandards nicht aussagekräftig. Eine überdurchschnittliche Bonität (wie dies ein Rating von 350 oder besser impliziere) werde mit den vorgelegten Nachweisen nicht dargetan. Zudem habe die Revisionswerberin ihrerseits Unterlagen vorgelegt (eine negative Bonitätsbewertung der R GmbH durch ein anderes Ratingunternehmen), die beim VwG Zweifel an der Richtigkeit der Bejahung der finanziellen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der R GmbH durch die Auftraggeberin hätten wecken müssen.

 

Der von der Auftraggeberin vorliegend verlangte Nachweis eines bestimmten KSV-Ratings dient als Bonitätsauskunft der Information der Auftraggeberin über das haftende Eigenkapital des Bieters. Auch wenn die von der Auftraggeberin vorliegend herangezogenen Unterlagen als geeignet angesehen werden können, dem Grunde nach Rückschlüsse auf die finanzielle und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Bieters zuzulassen, so wird nicht nachvollziehbar dargelegt, dass sich daraus ein Eigenkapital der R GmbH ergibt, aus dem auf ein unterdurchschnittliches Ausfallsrisiko geschlossen werden kann. Zu der seitens des VwG als besonders aussagekräftig angesehenen Liste der vergebenen öffentlichen Aufträge bedürfte es insbesondere näherer Angaben über das dort verlangte und der Angebotsprüfung zugrunde gelegte Eignungsniveau. Der Umstand allein, dass der R GmbH vor dem hier maßgeblichen Prüfungszeitpunkt öffentliche Aufträge erteilt worden sind (das VwG weist darauf hin, dass auch andere "Großauftraggeber" offensichtlich von der finanziellen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der R GmbH vor der Angebotsöffnung ausgegangen seien), lässt für sich allein noch keine verlässlichen Rückschlüsse auf ein bestimmtes Ausmaß an finanzieller und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zu. (Ein Grundsatz, wonach von der Eignungsprüfung abgesehen werden kann, wenn ein anderer öffentlicher Auftraggeber - und sei es vor kurzem - eine solche vorgenommen hat, findet sich im Vergaberecht nicht.) Auch die Auskünfte über die in der Vergangenheit erfolgte Erfüllung von Zahlungsverpflichtungen lassen für sich genommen nicht auf eine unterdurchschnittliche Ausfallswahrscheinlichkeit schließen.