14.11.2016 Verfahrensrecht

VwGH: Wiedereinsetzung – zum minderen Grad des Versehens iZm der Fristversäumung durch einen berufsmäßigen Parteienvertreter (hier: im Internet veröffentlichte Beschränkungen der Entgegennahme von Eingaben mittels e-mail)

Einem Rechtsanwalt ist es zumutbar, sich mit im Internet bekanntgemachten organisatorischen Beschränkungen des elektronischen Verkehrs durch die Behörde, bei der er ein Rechtsmittel einzubringen beabsichtigt, vertraut zu machen


Schlagworte: Wiedereinsetzung, Rechtsanwalt, minderer Grad des Versehens, Fristversäumung, im Internet veröffentlichte Beschränkungen der Entgegennahme von Eingaben mittels e-mail
Gesetze:

 

§ 71 AVG, § 46 VwGG, § 13 AVG

 

GZ Ra 2016/11/0098, 19.09.2016

 

VwGH: Das Verschulden des Parteienvertreters trifft - so die ständige hg Rsp - die von diesem vertretene Partei, wobei an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen. Ein dem Vertreter widerfahrenes Ereignis stellt einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann dar, wenn dieses Ereignis für den Vertreter selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich hiebei höchstens um einen minderen Grad des Versehens handelt.

 

Dem Wiedereinsetzungsantrag ist nicht zu entnehmen, dass dem Rechtsvertreter von der Revisionswerberin kundgemachte Beschränkungen der Entgegennahme von Eingaben per e-mail bekannt gewesen wären oder er sich vom Fehlen solcher Einschränkungen versichert hätte.

 

Gem dem vorliegend anzuwendenden § 13 Abs 2 letzter Satz AVG sind etwaige technische Voraussetzungen oder organisatorische Beschränkungen des elektronischen Verkehrs zwischen der Behörde und den Beteiligten im Internet bekanntzumachen. Ein berufsmäßiger Parteienvertreter, wie insbesondere ein Rechtsanwalt, hat sich mit den einschlägigen Verfahrensbestimmungen vertraut zu machen. Unterlässt er dies, so liegt eine auffallende, einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegenstehende Sorglosigkeit vor. Mit der Kundmachung hätte die Revisionswerberin hinreichend klar zum Ausdruck gebracht, dass schriftliche Anbringen (und damit auch Vorstellungen gegen Mandatsbescheide) nur während der Amtsstunden entgegengenommen werden, sodass der Vertreter des Mitbeteiligten nicht davon hätte ausgehen dürfen, dass die am letzten Tag der Vorstellungsfrist nach Ablauf der Amtsstunden mittels e-mail eingebrachte Vorstellung rechtzeitig erhoben wurde. Einem Rechtsanwalt ist es auch zumutbar, sich mit solchen im Internet bekanntgemachten organisatorischen Beschränkungen des elektronischen Verkehrs durch die Behörde, bei der er ein Rechtsmittel einzubringen beabsichtigt, vertraut zu machen. Darin liegt keine Erschwerung des Zugangs zum Rechtsschutz, ist doch durch die Kundmachung im Internet sichergestellt, dass sich die Parteien über die Voraussetzungen für ein rechtzeitiges Einlangen ihrer Anbringen umfassend informieren können.

 

Angesichts des Inhalts der im Internet veröffentlichten Beschränkungen der Entgegennahme von Eingaben mittels e-mail erweist sich die Bewilligung der Wiedereinsetzung aus den genannten Gründen als rechtswidrig.