10.02.2011 Strafrecht

OGH: Zur Unverhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft iZm Entscheidung über Haftbeschwerde

Die Art 6 Abs 1 PersFrG verfassungsrechtlich verankerte Frist von einer Woche gilt nur für die erstmalige Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges durch ein Gericht oder durch eine unabhängige Behörde


Schlagworte: Grundrechtsbeschwerde, Unverhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft, Haftbeschwerde
Gesetze:

§ 2 GRBG, Art 5 Abs 4 EMRK, Art 6 Abs 1 PersFrG, § 9 StPO, § 177 Abs 1 StPO

GZ 14 Os 154/10v, 16.11.2010

OGH: Soweit kritisiert wird, die Entscheidung über die Haftbeschwerde durch das OLG sei nicht innerhalb einer Woche erfolgt, ist darauf zu verweisen, dass die im (Art 5 Abs 4 MRK, der das Recht auf ehetunliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Haft garantiert, wobei es im Wesentlichen auf die Zügigkeit des Verfahrens ankommt, innerstaatlich präzisierenden und ergänzenden) Art 6 Abs 1 PersFrG verfassungsrechtlich verankerte Frist von einer Woche nur für die erstmalige Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzugs durch ein Gericht oder durch eine unabhängige Behörde gilt.

§§ 9 Abs 2 und 177 Abs 1 StPO verpflichten alle im Strafverfahren beteiligten Behörden, Einrichtungen und Personen auf eine möglichst kurze Dauer der Haft hinzuwirken; Verfahren, in denen ein Beschuldigter in Haft gehalten wird, sind mit besonderer Beschleunigung zu führen, jeder verhaftete Beschuldigte hat Anspruch auf ehestmögliche Urteilsfällung.

Der OGH prüft hinsichtlich der den Gerichten zukommenden Aufgaben (§ 1 Abs 1 GRBG), ob diese alles ihnen Mögliche zur Abkürzung der Haft unternommen haben; eine ins Gewicht fallende Säumigkeit in Haftsachen ist auch ohne Verletzung des § 173 Abs 1 zweiter Satz StPO grundrechtswidrig iSe Verletzung der §§ 9 Abs 2 und 177 Abs 1 StPO. Ob den jeweiligen Organwalter ein Verschulden traf, ist bei Prüfung des Vorliegens einer Grundrechtsverletzung ohne Bedeutung, obliegt es doch dem Staat, das Grundrecht zu gewährleisten.

Unter Berücksichtigung der nach § 177 Abs 1 erster Satz StPO bestehenden Verpflichtung sämtlicher am Strafverfahren beteiligter Behörden darauf hinzuwirken, dass die Haft so kurz wie möglich dauere, stellt eine erst am 12. Tag nach Einlangen der Haftbeschwerde erfolgte Vorlage des Ermittlungsakts an das Beschwerdegericht eine ins Gewicht fallende Verzögerung und somit eine Verletzung des § 177 Abs 1 StPO dar. Wurde aber eine haftrelevante Vorschrift in letzter Instanz missachtet oder deren Missachtung durch eine Unterinstanz nicht festgestellt und bereinigt, erforderlichenfalls ausgeglichen, stellt dies eine Grundrechtsverletzung dar, weil aufgrund des in Art 5 Abs 1 MRK genannten Erfordernisses "auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise" Verletzungen einfachgesetzlicher Vorschriften direkt auf die Frage einer Verletzung des Grundrechts auf Freiheit und Sicherheit durchschlagen. Dem OLG stand zwar keine rechtliche Möglichkeit offen, die Grundrechtsverletzung auszugleichen (neuerliche Haftentscheidung hätte dazu nichts beigetragen), doch hätte es - ohne an die geltend gemachten Beschwerdepunkte gebunden zu sein (§ 89 Abs 2 letzter Satz StPO) - eine Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen, deren Geltendmachung dem Bf in der Haftbeschwerde nicht möglich war, aussprechen müssen.