11.06.2012 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Arbeitsunfall gem § 175 ASVG iZm betrieblicher Gemeinschaftsveranstaltung

Bei der im Einzelfall anzustellenden Gesamtbetrachtung wird eine Veranstaltung ganz oder zumindest teilweise während der Arbeitszeit eher für eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung und eine Veranstaltung am Wochenende in der Freizeit eher für eine Freizeitveranstaltung sprechen


Schlagworte: Unfallversicherung, Arbeitsunfall, betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung
Gesetze:

§ 175 ASVG

GZ 10 ObS 54/12g, 03.05.2012

 

OGH: Nach stRsp des OGH stehen betriebliche Gemeinschaftsveranstaltungen insoweit unter Unfallversicherungsschutz, als die Teilnahme an ihnen ein Ausfluss der Ausübung der Erwerbstätigkeit ist. Hiefür sind in jedem konkreten Fall eine Reihe von Faktoren in ihrem Zusammenhang und in ihrer ausschlaggebenden Bedeutung als Beurteilungskriterien heranzuziehen. Es muss sich um eine Gemeinschaftsveranstaltung handeln, die allen Betriebsangehörigen oder, wenn die Größe oder die Erfordernisse des Betriebs keine gemeinsame Veranstaltung erlauben, wenigstens den Angehörigen der Abteilungen oder Gruppen, bei denen dies möglich ist, offen steht, an der, wenn auch ohne ausdrücklichen Zwang, alle teilnehmen sollen und die eine gewisse Mindestbeteiligung aufweist. Die Gemeinschaftsveranstaltung muss vom Betriebsleiter selbst veranstaltet, zumindest aber bei der Planung und Durchführung von seiner Autorität getragen werden. Hiefür sind die Anwesenheit des Betriebsinhabers oder eines Organs, die gänzliche oder teilweise Übernahme der Kosten, die Durchführung der Veranstaltung während der Arbeitszeit oder die Gewährung arbeitsfreier Zeit wichtige Anhaltspunkte. Wenn nicht alle Kriterien vorliegen, so muss dies noch keinen Versicherungsausschluss bedeuten, doch kommt es darauf an, in welcher Intensität die Gemeinschaftsveranstaltung betrieblichen Zwecken dient und in welchem Umfang außerbetriebliche private Interessen beteiligt sind. Entscheidend sind immer die konkreten Verhältnisse im Einzelfall im Rahmen der anzustellenden Gesamtbetrachtung.

 

Der Kläger macht geltend, das Berufungsgericht sei bei seiner Entscheidung von der Rsp des OGH abgewichen, wonach die Bestreitung der Kosten der betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung aus den Mitteln des Betriebsratsfonds und durch die Teilnehmer selbst noch keinen Ausschluss vom Versicherungsschutz bewirke und die Planung und Durchführung der Veranstaltung von der Autorität des Arbeitgebers getragen werde, sofern die Veranstaltung während der Arbeitszeit durch Gewährung eines arbeitsfreien Tages und bei gänzlicher oder teilweiser Übernahme der Kosten durch den Dienstgeber durchgeführt werde.

 

Dazu ist auszuführen, dass für die Beurteilung der Frage, ob die Teilnahme des Klägers an dem vom Betriebsrat organisierten Skiwochenende am 13. und 14. 3. 2010 unter Unfallversicherungsschutz steht, eine Gesamtbetrachtung erforderlich ist, bei der von folgenden Grundsätzen auszugehen ist:

 

Eine Veranstaltung ist dann von der Autorität der Unternehmensleitung getragen, wenn der Veranstalter dabei nicht nur aus eigenem Antrieb und freier Entschließung sondern im Einvernehmen mit der Unternehmensleitung oder für diese handelt. Die Unternehmensleitung muss dabei nicht selbst Veranstalter sein; es genügt, dass sie die Veranstaltung billigt und fördert. Sie kann daher die Planung und Durchführung einer Gemeinschaftsveranstaltung einer anderen Person oder einer Personengruppe (zB Betriebsrat) übertragen. Die Entscheidung der Unternehmensleitung, die Veranstaltung durchzuführen, muss sich jedoch nicht nur auf die wegen der Durchführung einer Veranstaltung erforderlichen betrieblichen Änderungen (zB Freistellung von der Arbeit), sondern auch auf die Durchführung als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung erstrecken. Ein finanzieller Zuschuss des Unternehmens ist nicht notwendige Voraussetzung für eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung. Andererseits wird eine von Betriebsangehörigen selbst durchgeführte Freizeitgestaltung nicht allein deshalb zur betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung, weil das Unternehmen einen Zuschuss leistet.

 

Um die für den Versicherungsschutz bei betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltungen wesentliche „betriebliche Zielsetzung“ - Verbundenheit zwischen Unternehmensleitung und Beschäftigten sowie der Beschäftigten untereinander - zu erreichen, muss die Veranstaltung grundsätzlich allen Beschäftigten des Unternehmens - bei Großbetrieben mindestens allen Beschäftigten einzelner Abteilungen oder anderer betrieblicher Einheiten - offenstehen. Es reicht nicht aus, dass nur für eine ausgewählte Gruppe von Betriebsangehörigen die Teilnahme an einer für sie ausgerichteten Veranstaltung offensteht. Eine Anwesenheit der Unternehmensleitung während der gesamten Veranstaltung ist nicht erforderlich. Um tatsächlich von einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung ausgehen zu können, ist eine gewisse Mindestbeteiligung zu fordern. Es kann zwar keine feste allgemeine Mindestbeteiligungsquote festgelegt werden, der OGH hat aber bei einer Teilnahmequote von lediglich 6 % der Betriebsangehörigen eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung verneint.

 

Betriebliche Gemeinschaftsveranstaltungen können auch an einem arbeitsfreien Tag stattfinden. Bei der im Einzelfall anzustellenden Gesamtbetrachtung wird aber eine Veranstaltung ganz oder zumindest teilweise während der Arbeitszeit eher für eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung und eine Veranstaltung am Wochenende in der Freizeit eher für eine Freizeitveranstaltung sprechen.

 

Unter Versicherungsschutz stehen bei einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung alle Verrichtungen, die mit dem Zweck der Veranstaltung vereinbar sind (zB auch gemeinsames Skifahren). Die Veranstaltung muss jedoch insgesamt geeignet sein, zur Förderung des Gemeinschaftsgedankens im Unternehmen beizutragen, indem sie die Gesamtheit der Belegschaft und nicht nur einen begrenzten Kreis der Beschäftigten anspricht. Die Teilnahme an Freizeitveranstaltungen hingegen ist nicht deshalb versichert, weil diese vom Unternehmen organisiert und finanziert werden. Steht die Freizeitgestaltung im Vordergrund, fehlt es an einem wesentlichen betrieblichen Zusammenhang.

 

Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass das vom Betriebsrat organisierte Skiwochenende von vornherein nur einem kleinen Kreis der mehr als 300 Beschäftigten offen stand, weil für die Unterbringung der Teilnehmer insgesamt nur 8 Doppelzimmer und ein Appartement zur Verfügung standen. Es haben daher an diesem Skiwochenende insgesamt nur 17 Mitarbeiter (= ca 6 % der Belegschaft) teilgenommen. Soweit der Kläger geltend macht, er habe vor der Durchführung der betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung nicht wissen können, wie groß die Teilnehmerzahl sei, ist ihm entgegenzuhalten, dass sich bereits aus der Einladung zur Teilnahme an dieser Veranstaltung ergeben hat, dass für die Teilnehmer nur das bereits erwähnte eingeschränkte Zimmerkontingent zur Verfügung steht. Das Skiwochenende fand an einem Wochenende statt, wobei der Kläger von seinem Dienstgeber für Samstagvormittag eine Dienstfreistellung erhielt. Die Kosten des Skiwochenendes wurden teilweise von den Mitarbeitern selbst und teilweise durch eine finanzielle Unterstützung des Unternehmens finanziert. In welcher konkreten Form der finanzielle Zuschuss durch den Dienstgeber erfolgte, ist nicht entscheidungswesentlich, sodass die vom Revisionswerber in diesem Zusammenhang geltend gemachte Aktenwidrigkeit nicht von entscheidungswesentlicher Bedeutung ist. Die Veranstaltung wurde nicht vom Dienstgeber sondern vom Betriebsrat nach Rücksprache mit der Unternehmensleitung organisiert. Mitglieder der Unternehmensleitung waren bei dieser Veranstaltung nicht anwesend.

 

Wenn das Berufungsgericht bei dieser Sachlage zu dem Ergebnis gelangte, dass im vorliegenden Fall die Freizeitgestaltung gegenüber den betrieblichen Interessen im Vordergrund stand, die Teilnahme des Klägers an dem Skiwochenende nicht mehr als Ausfluss der Ausübung der Erwerbstätigkeit angesehen werden kann und daher der Unfallversicherungsschutz zu verneinen ist, kann darin vom OGH auch unter Bedachtnahme auf die Rsp in vergleichbaren Fällen keine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung erblickt werden.