22.04.2013 Zivilrecht

OGH: Hausbetreuung im Winterdienst – zur Haftung von Eigentümergemeinschaften und Hausverwaltern

Allgemeine Ausführungen zu den einzelnen Anspruchsgrundlagen


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Wohnungseigentumsrecht, Hausbetreuung im Winterdienst, Eigentümergemeinschaft, Verwalter, Haftung, Wegehalterhaftung, Besorgungsgehilfenhaftung, Erfüllungsgehilfenhaftung, Organisationsverschulden, Auswahlverschulden, Überwachungsverschulden
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB, § 1319a ABGB, § 1315 ABGB, § 1313a ABGB, § 18 WEG 2002, § 20 WEG 2002

GZ 3 Ob 136/12i, 19.09.2012

 

OGH: Der OGH hatte in den letzten Jahren mehrmals Entscheidungen zur Haftung von Eigentümergemeinschaften und Hausverwaltern nach Stürzen von Fußgängern auf schnee- oder eisbedeckten Außenflächen zu treffen.

 

Nach stRsp haftet die Eigentümergemeinschaft ohne besondere Vertragsbeziehung ihren Mitgliedern nur deliktisch für die Verletzung der ihr im Rahmen der Verwaltung obliegenden Wegesicherungspflichten. Dies gilt auch im Verhältnis zu Mietern von Wohnungseigentümern: Die Eigentümergemeinschaft ist nicht Vertragspartnerin des von einem Wohnungseigentümer mit einem Mieter geschlossenen Mietvertrags.

 

Neben einer Besorgungsgehilfenhaftung nach § 1315 ABGB kann ein haftungsbegründendes eigenes Verschulden der Eigentümergemeinschaft, die den Winterdienst auf einen selbständigen Unternehmer ausgelagert hat, in Form eines Organisations-, Auswahl- oder Überwachungsverschuldens bestehen. Selbst im Anwendungsbereich des § 1319a ABGB lässt die Rsp hiefür leichte Fahrlässigkeit ausreichen.

 

Auch eine persönliche Haftung des Verwalters gegenüber Wohnungseigentümern sowie gegenüber Dritten setzt (außerhalb einer Haftung für Besorgungsgehilfen nach § 1315 ABGB) eigenes Verschulden voraus, insbesondere - so wie bei der Eigentümergemeinschaft - Organisations-, Auswahl- oder Überwachungsverschulden.

 

Eine rechtliche Sonderbeziehung, die zu einem Einstehenmüssen der Eigentümergemeinschaft (oder der Verwalterin) nach § 1313a ABGB führen würde, ist nicht erkennbar; insbesondere wurde von der hiefür behauptungspflichtigen klagenden Partei auch kein Vorbringen in diese Richtung erstattet. Aufgrund der fehlenden Spezifizierung des Vorbringens, dass eine „Haftung aufgrund vertraglicher Schutz- und Sorgfaltspflichten in Form eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter“ bestehe, ist nicht zu sehen, welcher von wem mit wem geschlossene Vertrag auf welcher Grundlage haftungsbegründende Schutzwirkungen zugunsten des Klägers entfalten könnte.

 

Für die Lösung des Falls ist daher entscheidend, ob die beklagten Parteien eine Sorgfaltswidrigkeit in Bezug auf die Organisation des Winterdienstes bzw die Auswahl und die Überwachung der Nebenintervenientin trifft. Auch im Folgenden werden für diese Sorgfaltswidrigkeit die langläufig verwendeten Bezeichnungen „Organisationsverschulden“, „Auswahlverschulden“ und „Überwachungsverschulden“ gebraucht.

 

Organisations- oder Auswahlverschulden:

 

Hinweise darauf, dass den beklagten Parteien bei der Organisation des Winterdienstes und bei der Auswahl der Nebenintervenientin eine Sorgfaltswidrigkeit zur Last fiele, sind nicht hervorgekommen. Die Hausverwalterin hat ein auf Hausbetreuungen spezialisiertes, in der Rechtsform einer GmbH geführtes Unternehmen mit rund 50 Mitarbeitern mit der Ausführung des Winterdienstes beauftragt. Die Nebenintervenientin hat den Winterdienst bereits im Winter 2008/2009 versehen. Das Einrichten einer „Rund um die Uhr“-Räumung oder Streuung des Parkplatzes ist nicht erforderlich, um den gebotenen Sorgfaltspflichten zu genügen.

 

Überwachungsverschulden:

 

Das Erstgericht konnte nicht feststellen, ob die von den Mitarbeitern der Nebenintervenientin durchgeführten Winterdienstarbeiten - abgesehen davon, dass sie häufig erst im Laufe des späteren Vormittags stattfanden - in dem Sinn unzureichend waren, dass der Parkplatz- und Zugangsbereich zu den Hauseingängen nicht ordentlich geräumt und/oder nicht oder nicht ausreichend gestreut wurde, und wie häufig dies allenfalls der Fall war, ob eine unzureichende Räumung und/oder Streuung überhaupt wiederholt vorkam. Zwar waren auch einige Tage vor bzw nach dem Unfall zwei Personen im Parkplatzbereich am Weg zum praktischen Arzt gestürzt; es konnte aber nicht festgestellt werden, wann sich diese Stürze ereigneten und ob diese vor oder nach dem Einsatz der Mitarbeiter der Nebenintervenientin passierten. Ferner konnte das Erstgericht nicht feststellen, dass Beschwerden von Hausbewohnern bezüglich eines unzulänglichen Winterdienstes an die zweitbeklagte Hausverwalterin oder direkt an die Nebenintervenientin gerichtet wurden.

 

Ist die behauptete Schädigung - wie hier - auf ein Unterlassen zurückzuführen, liegt nach der Rsp ein kausaler Zusammenhang vor, wenn die Vornahme einer bestimmten aktiven Handlung (nämlich der gebotenen Handlung) das Eintreten des Erfolgs verhindert hätte. Die Beweislast dafür, dass der Schaden bei pflichtgemäßem Verhalten nicht eingetreten wäre, trifft den Geschädigten. Lediglich die Anforderungen an den Beweis des bloß hypothetischen Kausalverlaufs sind geringer als die Anforderungen an den Nachweis der Verursachung bei einer Schadenszufügung durch positives Tun. Denn die Frage, wie sich die Geschehnisse entwickelt hätten, wenn der Schädiger pflichtgemäß gehandelt hätte, lässt sich naturgemäß nie mit letzter Sicherheit beantworten, weil dieses Geschehen eben nicht stattgefunden hat. Nur wenn nach der Lebenserfahrung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für den Kausalzusammenhang spricht, dann muss die freie Beweiswürdigung den Tatrichter dazu führen, den Kausalzusammenhang als erwiesen anzunehmen, sofern nicht der geklagte Schädiger diesen prima-facie-Beweis dadurch erschüttert, dass er eine ernstlich in Betracht zu ziehende Möglichkeit einer anderen Ursache oder eines anderen Ablaufs dartut.

 

Ausgehend von den Feststellungen fehlt es an diesem - vom Kläger zu beweisenden - Kausal-zusammenhang zwischen einer Überwachungspflicht-verletzung und dem konkreten Schaden. Es steht nicht fest, dass es zu Unzukömmlichkeiten beim Winterdienst (Räumung, Streuung) gekommen war. Daher gehen die vom Kläger im erstinstanzlichen Vorbringen gezogenen Schlüsse auf eine Kausalität eines Überwachungsverschuldens in Bezug auf den Unfall ins Leere. Es trifft aber den geschädigten Kläger nach allgemeinen Kriterien die Beweislast für die Kausalität zwischen Überwachungspflichtverletzung und dem konkreten Schadenseintritt.

 

Der Unfall ereignete sich gegen 12:00 Uhr. Es steht zwar nicht fest, wann die beiden Mitarbeiter der Nebenintervenientin an diesem Tag die Räum- und Streuarbeiten durchgeführt hatten; zum Unfallszeitpunkt war ihre Arbeit jedenfalls bereits verrichtet. In der Regel fand die Räumung bei Verhältnissen wie am Unfallstag um etwa 11:00 Uhr statt. Es ist daher davon auszugehen, dass der zeitliche Abstand zwischen den Räumungsarbeiten und dem Unfallszeitpunkt nicht allzu groß war. Gerade der konkrete Unfall wäre nicht dadurch verhindert worden, dass die Arbeiten der Nebenintervenientin engmaschiger kontrolliert worden wären, ereignete sich der Sturz des Klägers doch relativ knapp nach den Räumungsarbeiten durch die Mitarbeiter der Nebenintervenientin.

 

Steht aber der Kausalzusammenhang zwischen einem möglichen Überwachungsverschulden und dem konkreten Schadenseintritt nicht fest, ist eine Schadenersatzpflicht der beklagten Parteien zu verneinen.

 

Besorgungsgehilfenhaftung:

 

Hinweise darauf, dass sich die beklagten Parteien bei der Übertragung des Winterdienstes einer untüchtigen oder wissentlich einer gefährlichen Person bedient hätten (§ 1315 ABGB), bestehen nicht.