23.04.2009 Verfahrensrecht

OGH: Zur Beurteilung der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Urkunde geeignet ist, im Aufhebungsverfahren auf die endgültige Tatsachenfeststellung Einfluss zu nehmen

Die Frage, ob eine Urkunde allenfalls geeignet ist, auf die endgültige Tatsachenfeststellung Einfluss zu nehmen, kann letztlich nur im Rahmen der Gesamtwürdigung aller aufgenommenen Beweismittel erfolgen


Schlagworte: Erkenntnisverfahren, Wiederaufnahmsverfahren, Aufhebungsverfahren, Urkunde
Gesetze:

§ 530 ZPO

GZ 1 Ob 215/08m, 28.01.2009

OGH: Es entspricht der Rechtsprechung des OGH, dass schon im judicium rescindes (Aufhebungsverfahren) eine eingeschränkte Würdigung der vom Wiederaufnahmskläger angebotenen neuen Beweismittel dahin vorzunehmen ist, ob die Nichtberücksichtigung der neuen Erkenntnisquellen einen Verstoß gegen die Forderung nach der Richtigkeit und Vollständigkeit der Entscheidungsgrundlage darstellt. Die neuen Tatsachen und Beweismittel sind nicht nur im Hinblick auf ihre abstrakte Eignung, eine Änderung der im Vorprozess erflossenen Entscheidung herbeizuführen, zu würdigen, vielmehr muss auch eine Prüfung dahingehend erfolgen, ob die Nichtberücksichtigung dieser Tatsachen oder Beweismittel im Vorprozess geeignet war, die Beweiswürdigung im Vorprozess zu beeinflussen.

Die Frage, ob eine Urkunde allenfalls geeignet ist, auf die endgültige Tatsachenfeststellung Einfluss zu nehmen, kann letztlich nur im Rahmen der Gesamtwürdigung aller aufgenommenen Beweismittel erfolgen. Dass eine als "neues" Beweismittel angebotene Urkunde isoliert betrachtet keinen ausreichenden Beweiswert hat, weil sie in verschiedener Weise ausgelegt werden kann, steht einer Wiederaufnahme dann nicht entgegen, wenn nicht zugleich mit ausreichender Sicherheit gesagt werden kann, dass sie auch im Zusammenhalt mit den bereits im Vorverfahren aufgenommenen Beweisen nicht geeignet ist, zu für den Wiederaufnahmskläger günstigeren Tatsachenfeststellungen zu führen. Das Fehlen eines ausreichenden Beweiswerts kann sich im Aufhebungsverfahren etwa ergeben, wenn ein Zeuge bei seiner Vernehmung erklärt, zum maßgeblichen Sachverhalt keine Wahrnehmungen gemacht zu haben, wenn sich eine Urkunde als verfälscht und damit beweismäßig wertlos erweist, oder wenn eine Zeugenaussage in sich so unglaubwürdig ist, dass abschließend beurteilt werden kann, dass sie bei der Beweiswürdigung nicht zugunsten des Wiederaufnahmsklägers ausschlagen kann.

In allen übrigen Fällen, also insbesondere auch dort, wo eine bestimmte Urkunde sowohl in die eine als auch in die andere Richtung ausgelegt werden kann, kann hingegen regelmäßig nicht gesagt werden, dass diese auch "konkret" nicht geeignet wäre, - in einer "Gesamtschau" mit den übrigen Beweisergebnissen - allenfalls zu einer für den Wiederaufnahmskläger günstigeren Sachverhaltsfeststellung als im Vorverfahren zu führen. Auch wenn die Urkunde für sich allein unklar ist, kann sie gegebenenfalls doch unter Berücksichtigung anderer Beweisergebnisse zu einer vom Ergebnis des Vorverfahrens abweichenden Gesamtwürdigung und damit letztlich zu einer Änderung der Entscheidungsgrundlage auf Tatsachenebene führen.