13.12.2004 Wirtschaftsrecht

OGH: Stehen beherrschter und vom Missbrauch betroffener Markt nicht völlig isoliert nebeneinander, treffen den Marktbeherrscher die aus seiner beherrschenden Marktposition folgenden besonderen kartellrechtlichen Verhaltenspflichten auch auf dem verbundenen Markt


Der Kartellrechts-Senat hatte sich in seinem Beschluss vom 11.10.2004 (Gz 16 Ok 11/04) mit folgendem Fall auseinanderzusetzen:

Der Mitbewerb (alternative Netzbetreiber - ANB) hatte die Telekom Austria (TA) geklagt, es zu unterlassen, Kunden in best Tarifoptionen ("TikTak"-Tarife) die bloße Bereitstellung eines Telefonanschlusses zu einem geringerem Entgelt anzubieten (also zu einer vergünstigter Grundgebühr), wenn diese auch bereit sind, inkludierte Verbindungsleistungen bei ihr mitzukaufen. Dies habe dazu geführt, dass die Kunden -um diese vergünstigte Grundgebühr nutzen zu können - somit gezwungen wurden, in die günstigeren TikTak-Tarife umzusteigen. Damit nehme die TA den Kunden de facto die Möglichkeit, für ihre Gespräche den von ihnen bevorzugten Anbieter frei wählen zu können, und werde somit zu massiven Umsatzeinbrüchen bei den ANB führen, da diese Tarifgestaltung einen Anreiz für die Kunden biete, ihren gesamten Verbindungsbedarf über die TA abzuwickeln. Dieser Anreiz werde mit leistungsfremden Mitteln bewirkt. Ihr Verhalten verstoße gegen § 35 KartG und Art 82 EGV.

Die Beurteilung des sachlich betroffenen Markts wird nach Lehre und Rsp nach dem Bedarfsmarktkonzept durchgeführt, so der OGH. Der selbe Markt liegt vor, wenn sich die in Frage stehenden Waren oder Dienstleistungen in ihren für die Deckung desselben Bedarfs wesentlichen Eigenschaften von anderen unterscheiden, sich also - aus der Sicht der Bedarfsträger - beliebig gegeneinander austauschen lassen. Im konkreten Fall sind 2 unterschiedliche sachliche Märkte, nämlich der Markt für die Anschlussleistung (Grundgebühr) und jener für die Verbindungsleistungen (Verbindungsgebühren) betroffen. Unstrittig ist, dass die TA auf dem hier örtlich relevanten Markt (das gesamte Bundesgebiet) für Anschlussleistungen mit 95% Marktanteil einziges marktbeherrschendes Unternehmen iSd § 34 Abs 1 Z 1 KartG. Dem Einwand der TA, eine marktbeherrschende Stellung auch auf dem Markt für Verbindungsleistungen bestehe nicht, kann nicht gefolgt werden. Der OGH hat - der Rsp des EuGH zu Art 82 EG folgend - schon wiederholt ausgesprochen, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der marktbeherrschenden Stellung und dem eingesetzten missbräuchlichen Verhalten nicht erforderlich ist, um den Tatbestand des § 35 KartG zu erfüllen. Die nunmehr überwiegende Lehre vertritt deshalb - in konsequenter Fortführung dieser Überlegung - die Auffassung, dass auch missbräuchliches Verhalten eines Unternehmens auf einem anderen Markt als dem, den es beherrscht, gegen Art 82 EGV verstößt. Die europ Rsp verlangt für einen Missbrauch bei Marktdivergenz das Vorliegen besonderer Umstände, um eine Anwendung von Art 82 EGV zu rechtfertigten, und nimmt solche besonderen Umstände insbesondere dann an, wenn beide Märkte so eng miteinander verbunden sind, dass Kunden des einen Markts zugleich als potentiielle Kunden auf dem anderen Markt in Frage kommen. Das einen dieser Märkte beherrschende Unternehmen befindet sich dann in einer Situation, die einer beherrschenden Stellung auf der Gesamtheit der relevanten Märkte gleichkommt. Diesen Grundsätzen ist zu folgen: Stehen beherrschter und vom Missbrauch betroffener Markt nich völlig isoliert nebeneinander, sondern besteht zwischen beiden ein Verbindung im zuvor aufgezeigten Sinn, treffen den Marktbeherrscher die aus seiner beherrschenden Marktposition folgenden besonderen kartellrechtlichen Verhaltenspflichten auch auf dem verbundenen Markt.Weil nur solche Kunden Verbindungsleistungen in Fernsprech-Festnetzen in Anspruch nehmen können, die auch über einen Festnetz-Anschluss verfügen, sind der Markt für Anschlussleistung und jener für die Verbindungsleistungen als Komplementärmärkte in dem Sinn zu verstehen, dass die auf beiden Märkten gehandelten Dienstleistungen nur gemeinsam verwendet werden können. Die genannten Märkte sind dann aber jedenfalls so eng miteinander verbunden, dass Kunden, die Bedarfsträger des einen Markts sind, notwendig als potentielle Kunden auf dem anderen Markt in Frage kommen. Daraus folgt, dass ein Verhalten der TA, soweit es geeignet ist, sich auf dem Markt für Verbindungsleistungen auszuwirken, jedenfalls am Maßstab des § 35 KartG zu beurteilen ist, ohne dass es weiter darauf ankäme, ob die TA auch diesen Markt beherrscht.