17.02.2011 Strafrecht

OGH: Geänderter rechtlicher Gesichtspunkt iSd § 262 StPO iZm Änderung der Beteiligungsform?

Bei Änderung der Beteiligungsform der Tat ist § 262 StPO analog anzuwenden


Schlagworte: Geänderter rechtlicher Gesichtspunkt, Änderung der Beteiligungsform, Information, Anklageüberschreitung
Gesetze:

§ 262 StPO, § 281 Abs 1 Z 8 StPO

GZ 11 Os 56/10k, 16.11.2010

OGH: Nach der Rsp des EGMR liegt der Schutzzweck des Art 6 Abs 3 lit a und lit b EMRK gerade darin, die Verteidigung des Angeklagten zu gewährleisten. Geleitet von dieser Zielsetzung können auch Abweichungen in der rechtlichen Beurteilung des von der Anklage erfassten Sachverhalts bei Nichtbeachtung des § 262 StPO aus Z 8 des § 281 Abs 1 StPO releviert werden. Stets dann, wenn plausibel gemacht wird, dass mit Blick auf den veränderten rechtlichen Gesichtspunkt die Verteidigung eine andere gewesen wäre, ist das Urteil ohne entsprechende vorherige Information in der Verhandlung wegen Anklageüberschreitung nichtig. Ein solches Vorbringen ist unnötig, wenn der Angeklagte - wenngleich ohne Abgehen vom Prozessgegenstand, der Tat im prozessualen Sinn - einer gegenüber der Anklage anderen Tat im materiellen Sinn schuldig erkannt wird, deren äußere Tatseiten sich nicht überdecken. Eine entsprechende Information ist - in analoger Anwendung des § 262 StPO - auch bei jeder Änderung der Beteiligungsform der Tat erforderlich, obwohl hier nicht einmal eine andere strafbare Handlung - also nicht bloß kein anderes historisches Geschehen, sondern auch keine andere rechtliche Kategorie - vorliegt.

Im vorliegenden Fall war den Angeklagten Z und T im Strafantrag vorgeworfen worden, sie hätten Gewahrsamsträgern eines Großmarkts bestimmte Gegenstände mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen.

Das Erstgericht gelangte abweichend davon zur Überzeugung, Z habe aus Furcht vor Entdeckung wie in der Folge auch T manche Gegenstände nicht selbst weggenommen, sondern jeweils eine "Bestellung" aufgegeben, damit andere Angeklagte sie den Gewahrsamsträgern wegnehmen, und sich die Sachen dann vom Erstangeklagten abgeholt.

Demnach hätte die Einzelrichterin des LG die Angeklagten Z und T in der Hauptverhandlung über die in Aussicht genommene Abweichung von der im Strafantrag enthaltenen rechtlichen Beurteilung in Betreff der Beteiligungsform (nämlich Bestimmung statt unmittelbarer Täterschaft) informieren müssen, um ihnen die Möglichkeit zu entsprechender Verteidigung zu geben (Art 6 Abs 3 lit a und lit b EMRK).

Indem das Erstgericht die Schuldsprüche des Z und des T zu Punkt II des Urteils ohne vorherige Information über die in Aussicht genommene von der Anklage abweichende rechtliche Beurteilung fällte, verletzte es das Gesetz in der (bei Änderung der Beteiligungsform analog anzuwendenden) Bestimmung des § 262 erster Satz StPO.