22.10.2005 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Bei der Beurteilung der Rechtzeitigkeit eines vorzeitigen Ausscheidens aus einem Arbeitsverhältnis wegen sexueller Übergriffe ist auf die besondere Situation des Betroffenen Rücksicht zu nehmen


Schlagworte: Kündigungsrecht, Arbeitsverhältnis, Verzicht, Belästigung, Rechtzeitigkeit
Gesetze:

§ 15 Abs 1 GlBG 2004

In seinem Erkenntnis vom 03.08.2005 zur GZ 9 ObA 112/05v hatte sich der OGH mit der Frage nach der Rechtzeitigkeit eines vorzeitigen Austritts aus einem Arbeitsverhältnis im Falle sexueller Belästigung auseinanderzusetzen:

Die Klägerin war mehrere Monate hindurch den sexuellen Übergriffen ihres Arbeitgebers ausgesetzt und erklärte, nachdem sie infolge eines psychischen Zusammenbruch den tatsächlichen Charakter dieser Belästigungen erkannte, ihren vorzeitigen Austritt aus dem Arbeitsverhältnis, erstattete Strafanzeige und begehrte nunmehr Kündigungsentschädigung, Urlaubsersatzleistung, und anteilige Sonderzahlungen. Die grundsätzliche Berechtigung der Klägerin zur Beendigung des Dienstverhältnisses war nicht mehr strittig, es stellte sich jedoch die Frage nach deren Rechtzeitigkeit.

Der OGH führte dazu aus: Grundsätzlich müssen Gründe, die zu einem vorzeitigen Austritt aus einem Arbeitsverhältnis berechtigen, sofort und ohne schuldhaftes Zögern geltend gemacht werden, ansonsten ist entweder von einem Verzicht auszugehen oder davon, dass der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis dennoch als zumutbar betrachtet. Im Falle sexueller Belästigung ist allerdings die dadurch bewirkte psychische Ausnahmesituation des Betroffenen entsprechend zu berücksichtigen, weshalb die Rechtzeitigkeit des Austrittes auch dann vorliegt, wenn zwar zwischen dem Ereignis und den Wirkungen bei der belästigten Person eine gewisse Zeitspanne liegt, aber das Austrittsrecht unmittelbar nach der Realisierung der Situation geltend gemacht wird.