23.12.2010 Strafrecht

OGH: Zulässiges Abwesenheitsverfahren nach § 427 StPO bei Beschuldigtenvernehmung durch Rechtspraktikanten ohne nachträgliche Bestätigung der Angaben vor vernehmungsbefugter Person?

Die Vernehmung eines Beschuldigten durch einen Rechtspraktikanten ohne zumindest nachträgliche Bestätigung der Angaben durch den Vernommenen vor einer gesetzlich vernehmungsbefugten Person stellt keine zur Durchführung eines Abwesenheitsverfahrens iSd § 427 Abs 1 StPO berechtigende Vernehmung iSd §§ 164, 165 StPO dar


Schlagworte: Abwesenheitsverfahren, Vernehmung des Beschuldigten, Rechtspraktikant, keine nachträgliche Bestätigung der Angaben vor vernehmungsbefugter Person
Gesetze:

§ 427 StPO, § 164 StPO, § 165 StPO

GZ 15 Os 80/10v, 11.08.2010

OGH: Gem § 427 Abs 1 StPO darf die Hauptverhandlung ua nur dann in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführt und in dieser ein Urteil gefällt werden, wenn der Angeklagte zuvor gem §§ 164 oder 165 StPO zum Anklagevorwurf vernommen wurde. Nur eine dem Abwesenheitsverfahren vorangegangene, den gesamten Anklagevorwurf erfassende förmliche Vernehmung des Angeklagten als Beschuldigtem iSd §§ 164, 165 StPO trägt dem durch Art 6 EMRK auf Verfassungsebene gehobenen Grundsatz des beiderseitigen Gehörs hinreichend Rechnung.

Vorliegend wurde der Angeklagte zum Vorwurf in Richtung Diebstahl weder durch die Kriminalpolizei, noch durch die Staatsanwaltschaft, noch durch einen Richter, sondern bloß durch einen Rechtspraktikanten ohne Bestätigung der Angaben vor einem vernehmungsbefugten Organ vernommen, sodass eine den Kriterien der §§ 164, 165 StPO gleichkommende Vernehmung nicht vorlag.

Mangels vorheriger förmlicher Vernehmung zu den Anklagepunkten verstießen Verhandlung und Urteilsfällung in Abwesenheit des Angeklagten gegen § 427 Abs 1 StPO.