06.01.2011 Strafrecht

OGH: Sicherstellung von Film- / Tonmaterial aus Beweisgründen nach § 110 Abs 1 Z 1 StPO - zum Schutz des Redaktionsgeheimnisses iSd § 31 MedienG

Ob das von der Sicherstellungsanordnung betroffene Film- und Tonmaterial von § 31 Abs 1 MedienG erfasst ist und daher nicht Gegenstand einer Sicherstellung aus Beweisgründen nach § 110 Abs 1 Z 1 StPO sein kann, hängt ausschließlich vom Bedeutungsinhalt der aufgenommenen Äußerungen ab; nicht als geschützte Mitteilung sind Informationen zu qualifizieren, die eine der in § 31 Abs 1 MedienG genannten Personen gewinnt, ohne dass sie dieser im Hinblick auf ihre Tätigkeit von jemandem (bewusst) zugänglich gemacht wurden


Schlagworte: Schutz des Redaktionsgeheimnisses, Sicherstellung aus Beweisgründen, Film- / Tonmaterial, Freiheit der Meinungsäußerung, geschützte Mitteilung
Gesetze:

§ 31 MedienG, § 110 Abs 1 Z 1 StPO, Art 10 EMRK

GZ 13 Os 130/10g, 16.12.2010

Die Staatsanwaltschaft ordnete an, das "gesamte - bisher noch nicht sichergestellte - für die ORF-Dokumentation ‚Am Schauplatz, Am rechten Rand’ hergestellte Originalrohmaterial (Bild- und sämtliche Tonspuren)" sicherzustellen.

OGH: Die von Art 10 Abs 1 EMRK garantierte Freiheit der Meinungsäußerung ist nach übereinstimmender Auffassung von EGMR und OGH eine der wesentlichen Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft. Unter dem grundrechtlichen Schutz stehen nicht nur "Informationen" oder "Ideen", die positiv aufgenommen oder die als harmlos oder indifferent angesehen werden, sondern auch solche, die verletzen, schockieren oder beunruhigen. Dies verlangen Pluralismus, Toleranz und Aufgeschlossenheit, ohne die es keine "demokratische Gesellschaft" gibt. Nicht nur der Inhalt der Informationen, sondern auch die Form ihrer Darstellung wird geschützt.

Sicherstellung von einem Medium recherchierten Materials stellt einen Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 Abs 1 EMRK dar, ist doch der Schutz der Vertraulichkeit journalistischer Quellen eine der Grundbedingungen der Pressefreiheit und bildet somit einen wesentlichen Bestandteil der konventionsrechtlichen Garantie. Ohne solchen Schutz könnten Quellen abgeschreckt werden, Medien dabei zu unterstützen, die Öffentlichkeit über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zu informieren ("chilling effect"). Dies könnte zur Folge haben, dass die lebenswichtige öffentliche Funktion der Medien als "Wachhund" ("public watchdog") beeinträchtigt und ihre Fähigkeit, präzise und verlässliche Informationen zu bieten, nachteilig berührt werden.

Die öffentliche Wahrnehmbarkeit eines Geschehens schließt darin enthaltene Informationen nicht von dem durch Art 10 Abs 1 EMRK garantierten Schutz der Vertraulichkeit journalistischer Quellen aus.

Da die Ausübung dieser Freiheiten Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, erlaubt Art 10 Abs 2 EMRK bestimmte, vom Gesetz vorgesehene Einschränkungen, soweit diese in einer demokratischen Gesellschaft zur Wahrung bestimmter Interessen (hier: der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung) unentbehrlich sind.

Eine derartige gesetzliche Eingriffsbefugnis findet sich in den Vorschriften der StPO über die Sicherstellung aus Beweisgründen (§ 110 Abs 1 Z 1 StPO). Sie wird jedoch von dem durch § 31 MedienG garantierten "Schutz des Redaktionsgeheimnisses" eingeschränkt. § 31 MedienG erfasst ua ausnahmslos alles, was Medieninhabern, Herausgebern, Medienmitarbeitern und Arbeitnehmern eines Medienunternehmens oder Mediendienstes im Hinblick auf ihre Tätigkeit mitgeteilt wurde.

Indem die Vorschrift - damit erheblich über das europäische Schutzniveau hinausgehend - auf jede Abwägung gegen Interessen von "Aufrechterhaltung der Ordnung" und "Verbrechensverhütung" verzichtet, wird mit der Sicherstellung (§ 110 Abs 1 Z 1 StPO) von durch § 31 MedienG geschütztem Material das Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung selbst dann verletzt, wenn das Film- oder Tonmaterial Aufschluss über schwere und schwerste Verbrechen geben könnte. Zwar gilt der Schutz des Redaktionsgeheimnisses nach § 144 Abs 3 erster Satz StPO nicht gegenüber Beschuldigten, jedoch nur, soweit diese "der Tat dringend verdächtig" sind.

Der vom OLG gezogene Schluss, nur vertrauliche Mitteilungen seien Gegenstand des Redaktionsgeheimnisses, wird vom erkennenden Senat nicht geteilt. Er läuft auf die Annahme einer Ausnahmelücke im § 31 MedienG hinaus, ohne dass unter diesem Gesichtspunkt Anhaltspunkte für eine Planwidrigkeit der Vorschrift bestehen. Zwar enthält die Überschrift des § 31 MedienG den Begriff "Geheimnis", was dazu verleiten kann, den Schutz der Bestimmung auf Umstände beschränkt zu sehen, die nur einem bestimmten, nicht allzu großen Kreis von Personen bekannt und anderen nicht oder nur schwer zugänglich, also "faktisch geheim" sind. Anders als Vorschriften, welche den Begriff "Geheimnis" verwenden, ohne ihn zu definieren und so auf einen außerhalb der Vorschrift gelegenen Begriffsinhalt rekurrieren, stellt der Normtext des § 31 MedienG jedoch eine eigenständige Definition des in der Überschrift verwendeten Begriffs dar.

Ob das von der Sicherstellungsanordnung vom 24. März 2010 betroffene Film- und Tonmaterial von § 31 Abs 1 MedienG erfasst ist und daher nicht Gegenstand einer Sicherstellung aus Beweisgründen nach § 110 Abs 1 Z 1 StPO sein kann, hängt vielmehr ausschließlich vom Bedeutungsinhalt der aufgenommenen Äußerungen ab.

Nicht als geschützte Mitteilung sind Informationen zu qualifizieren, die eine der in § 31 Abs 1 MedienG genannten Personen gewinnt, ohne dass sie dieser im Hinblick auf ihre Tätigkeit von jemandem (bewusst) zugänglich gemacht wurden. Wird die Tatfrage des Bedeutungsinhalts der Äußerung hingegen im umgekehrten Sinn beantwortet, liegt eine von § 31 Abs 1 MedienG erfasste Mitteilung vor.

Soweit das OLG zuletzt "ergänzend" erwogen hatte, das Filmmaterial könnte unter dem Aspekt des § 110 Abs 1 Z 3 StPO als Produkt einer Straftat der Einziehung nach § 26 StGB unterliegen, wird nicht klar, welche mit Strafe bedrohte Handlung dadurch hätte verhindert werden sollen. Erwägungen zu einer von § 110 Abs 1 Z 1 StPO unabhängigen Rechtfertigung der Sicherstellungsanordnung bedarf es daher nicht.

Von einer Sicherstellung Betroffene können, was abschließend (wegen eines anderslautenden Hinweises der Generalprokuratur) angemerkt sei, auf das in § 112 StPO geregelte Verfahren auch zum Schutz des Redaktionsgeheimnisses zurückgreifen. Zwar stellt der Wortlaut nur auf rechtlich anerkannte "Pflichten" zur Verschwiegenheit ab. Erfasst werden sollten aber nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte dazu, sodass sich die Vorschrift als planwidrig lückenhaft erweist und deren Anwendungsbereich analog auch für das Redaktionsgeheimnis gilt.