17.03.2011 Strafrecht

OGH: Zuständigkeit bei Ablehnung eines ganzen Gerichts?

Dafür, dass die Entscheidungskompetenz bei - außer im Fall, dass das Gericht nur über einen Spruchkörper verfügt, im Übrigen unzulässiger - Ablehnung eines ganzen Gerichts zur Gänze auf den Präsidenten des übergeordneten Gerichts überginge, finden sich im Gesetz keine Anhaltspunkte


Schlagworte: Ausgeschlossenheit von Richtern, Ablehnung eines ganzen Gerichts, Entscheidungskompetenz
Gesetze:

§ 44 StPO, § 45 StPO

GZ 14 Os 176/10d, 25.01.2011

OGH: Die Zuständigkeit für die Entscheidung über einen Antrag nach § 44 Abs 3 StPO richtet sich nach § 44 Abs 2 StPO. Danach hat - soweit hier wesentlich - über die Ausschließung eines Richters der Vorsteher oder Präsident des Gerichts, dem er angehört, über jene des Präsidenten eines LG aber der Präsident des übergeordneten Gerichts zu entscheiden (§ 45 Abs 1 erster Satz StPO).

Dafür, dass die Entscheidungskompetenz bei - außer im hier nicht aktuellen Fall, dass das Gericht nur über einen Spruchkörper verfügt, im Übrigen unzulässiger - Ablehnung eines ganzen Gerichts zur Gänze auf den Präsidenten des übergeordneten Gerichts überginge, wie die Generalprokuratur ersichtlich vermeint, finden sich im Gesetz keine Anhaltspunkte.

Im vorliegenden Fall bedeutet das, dass zur Entscheidung über den Antrag des Angeklagten, soweit er die Ablehnung auch des Präsidenten des LG für Strafsachen Wien wegen Ausschließung betraf, nach § 45 Abs 1 erster Satz iVm § 44 Abs 2 StPO der Präsident des OLG Wien berufen ist, während der Präsident des LG für Strafsachen Wien über den Antrag hinsichtlich der übrigen Richter dieses Gerichts zu entscheiden hat.

Demzufolge widerstreitet der Beschluss des Präsidenten des LG für Strafsachen Wien, mit dem dieser ausschließlich die Ablehnung des Richters, dem die Sache nach der Geschäftsverteilung zugefallen war, für nicht gerechtfertigt erklärte, nicht dem Gesetz.

Gleiches gilt für den weiters gerügten Vorgang, dass der Präsident des LG für Strafsachen Wien die Akten nicht vor seiner Beschlussfassung dem Präsidenten des OLG Wien zur Entscheidung über den ihn betreffenden Ablehnungsantrag vorlegte.

Knüpft nämlich § 44 Abs 1 erster Satz StPO die dort normierte Verpflichtung des Richters, sich im Verfahren bei sonstiger Nichtigkeit aller Handlungen zu enthalten, an das Vorliegen eines Ausschließungsgrundes, also an das Erkennen eines die Ausgeschlossenheit begründenden Sachverhalts durch den betroffenen Richter, an, was die Generalprokuratur hier - zu Recht - gar nicht behauptet, löst die bloße Antragstellung nach § 44 Abs 3 StPO die in § 45 Abs 2 letzter Satz StPO normierte Folge nicht aus. Indem diese Bestimmung die angesprochene Konsequenz, wonach sich ein Richter (bei sonstiger Nichtigkeit) seines Amtes zu enthalten hat, nämlich nur im Falle des Vorliegens einer (positiven) Entscheidung über die Ausschließung vorsieht, stellt sie insoweit auf eine Willenserklärung des nach § 45 Abs 1 erster Satz StPO zur Entscheidung Berufenen ab. Demgemäß ist übrigens insoweit eine § 44 Abs 1 zweiter Satz StPO entsprechende Einschränkung nicht geboten, weil der Richter in der Zeit zwischen dem Einlangen des Ablehnungsantrags und der Entscheidung darüber tätig werden und damit auch unaufschiebbare Handlungen vornehmen kann.

Weil hier zum Zeitpunkt der Beschlussfassung des Präsidenten des LG für Strafsachen Wien eine ihn betreffende positive Entscheidung über die Ausschließung nicht vorlag, liegt auch insoweit ein Gesetzesverstoß nicht vor.

Bleibt anzumerken, dass die Entscheidung über den Antrag des Angeklagten, soweit er die Ablehnung des Präsidenten des LG für Strafsachen Wien sowie die übrigen Richter dieses Gerichts betrifft, noch zu erfolgen hat.