14.04.2011 Strafrecht

OGH: Vergewaltigung - dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung iSd § 201 Abs 1 StGB

Für die rechtliche Beurteilung einer Tathandlung als dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung ist der objektive Sexualbezug entscheidend; auf die subjektive Vorstellung oder die Motivlage des Täters kommt es nicht an; die erzwungene Vornahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung an sich selbst kann schon nach dem Wortlaut des Gesetzes, der eine Einschränkung nicht kennt, unter § 201 Abs 1 StGB subsumiert werden


Schlagworte: Vergewaltigung, dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung
Gesetze:

§ 201 StGB

GZ 11 Os 131/10i, 17.02.2011

OGH: § 201 Abs 1 StGB erfasst die Nötigung zur Vornahme oder Duldung des Beischlafs oder einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung. Unter "dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen" fallen alle Formen einer oralen, vaginalen oder analen Penetration, die in der Summe ihrer Auswirkungen und Begleiterscheinungen mit einem Beischlaf vergleichbar sind; entscheidend sind die Intensität und die Schwere des Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung sowie das Ausmaß der Demütigung und Erniedrigung des Opfers.

Jede Penetration eines zur Geschlechtssphäre gehörenden Organs, maW jede vaginale oder anale Penetration stellt demnach - unabhängig davon, mit welchem Mittel sie erfolgt - eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung dar, sofern sie in der Summe ihrer Auswirkungen mit dem Beischlaf vergleichbar ist. Sowohl die digitale Analpenetration als auch die Analpenetration mit einem Gegenstand sind - als besonders massive Eingriffe in die Intimsphäre - grundsätzlich als dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen anzusehen.

Für die rechtliche Beurteilung einer Tathandlung als dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung ist der objektive Sexualbezug entscheidend; auf die subjektive Vorstellung oder die Motivlage des Täters kommt es nicht an. Insofern erfüllen auch nicht unmittelbar der Befriedigung des Geschlechtstriebs des Täters dienende, etwa auf Demütigung oder Züchtigung des Opfers, Machtausübung und Zufügung seelischer Qualen ausgerichtete (nach dem äußeren Erscheinungsbild sexualbezogene) Angriffe das Tatbild der Vergewaltigung. Eine vaginale oder anale Penetration bleibt eine geschlechtliche Handlung auch dann, wenn der Täter ausschließlich aus sexualfremden Gründen gehandelt hat.

Der Tatbestand der Vergewaltigung erfasst neben der Duldung auch die mit Nötigungsmitteln erzwungene Vornahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung, wobei § 201 Abs 1 StGB dabei nicht zwischen der Vornahme der qualifiziert geschlechtlichen Handlung am Täter, an einem Dritten oder am Opfer selbst differenziert. Die erzwungene Vornahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung an sich selbst kann daher schon nach dem Wortlaut des Gesetzes, der eine Einschränkung nicht kennt, unter § 201 Abs 1 StGB subsumiert werden.

Allein aus dem Umstand, dass der - dem Schutz vor erzwungenen, also unfreiwilligen, qualifiziert geschlechtlichen Handlungen dienende - Tatbestand des § 201 Abs 1 StGB anders als jener des - dem Schutz Unmündiger vor auch freiwilligen qualifiziert geschlechtlichen Handlungen dienende - § 206 StGB die Vornahme dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen am eigenen Körper nicht ausdrücklich erwähnt, kann keineswegs geschlossen werden, dass solche mit Nötigungsmitteln erzwungenen qualifiziert geschlechtlichen Handlungen von § 201 Abs 1 StGB nicht erfasst werden sollten, zumal insbesondere auch die von der Bf angeführte, für eine Strafbarkeit nach § 206 Abs 2 StGB erforderliche überschießende Innentendenz bei § 201 Abs 1 StGB durch den Einsatz von Gewalt bzw Drohung kompensiert wird.