07.04.2006 Verfahrensrecht

EuGH: Das Gemeinschaftsrecht gebietet es einem nationalen Gericht nicht, von der Anwendung innerstaatlicher Verfahrensvorschriften, aufgrund deren eine Entscheidung Rechtskraft erlangt, abzusehen, selbst wenn dadurch ein Verstoß dieser Entscheidung gegen Gemeinschaftsrecht abgestellt werden könnte


Schlagworte: Gerichtsstand, Zuständigkeitsentscheidung, Rechtskraft
Gesetze:

Art 10 EGV, Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1), § 5j KSchG

Mit Urteil vom 16.03.2006 zur GZ C-234/04 hat sich der EuGH mit der Rechtskraft befasst:

Die öst Staatsangehörige Rosmarie Kapferer erhielt als Verbraucherin von der deutschen Firma Schlank & Schick GmbH Werbematerial mit einer Gewinnzusage zugesandt, wonach sie rund 4.000 Euro gewonnen hätte. Nach den Teilnahme-/Vergabebedingungen auf der Rückseite dieser Gewinnzusage war die Teilnahme an der Guthabenvergabe von einer unverbindlichen Testbestellung abhängig. Da Frau Kapferer den Preis, den sie ihrer Ansicht nach gewonnen hatte, nicht erhielt, machte sie nach § 5j KSchG die Auszahlung des Gewinns geltend. Schlank & Schick erhob die Einrede der Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts, da die Bestimmungen der Art 15 und 16 der Verordnung nicht anwendbar seien, weil sie das Vorliegen eines entgeltlichen Vertrages voraussetzten. Die Teilnahme am Gewinnspiel sei von einer Warenbestellung abhängig gewesen, die Frau Kapferer aber nie vorgenommen habe. Der Anspruch aus § 5j KSchG sei nicht vertraglicher Natur. Das Bezirksgericht verwarf die Einrede der Unzuständigkeit, wies das Begehren jedoch in vollem Umfang ab. Frau Kapferer legte beim Landesgericht Innsbruch Berufung ein. Schlank & Schick vertrat die Auffassung, sie selbst sei durch die Entscheidung des Bezirksgerichts über dessen Zuständigkeit nicht beschwert, weil sie jedenfalls in der Sache obsiegt habe. Sie bekämpfte daher diese Zuständigkeitsentscheidung nicht.

Das LG Innsbruck äußert Zweifel hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit des Bezirksgerichts. Es hält es für fraglich, ob eine irreführende Gewinnzusage, die der Veranlassung zum Vertragsabschluss und damit der Vertragsanbahnung diene, eine so enge Verknüpfung zum beabsichtigten Abschluss eines Verbrauchervertrags aufweist, dass dadurch der Verbrauchergerichtsstand begründet wird. Da Schlank & Schick die Entscheidung über die Zurückweisung der Einrede der Unzuständigkeit nicht angefochten hat, fragt sich das vorlegende Gericht, ob es dennoch gem Art 10 EGV verpflichtet ist, ein hinsichtlich der Entscheidung über die internationale Zuständigkeit rechtskräftiges Urteil zu überprüfen und aufzuheben, falls sich zeigen sollte, dass es gemeinschaftsrechtswidrig sei.

Dazu der EuGH: Es ist auf die Bedeutung hinzuweisen, die der Grundsatz der Rechtskraft sowohl in der Gemeinschaftsrechtsordnung als auch in den nationalen Rechtsordnungen hat. Zur Gewährleistung des Rechtsfriedens und der Beständigkeit rechtlicher Beziehungen sowie einer geordneten Rechtspflege sollen nämlich nach Ausschöpfung des Rechtswegs oder nach Ablauf der entsprechenden Rechtsmittelfristen unanfechtbar gewordene Gerichtsentscheidungen nicht mehr in Frage gestellt werden können. Daher gebietet das Gemeinschaftsrecht es einem nationalen Gericht nicht, von der Anwendung innerstaatlicher Verfahrensvorschriften, aufgrund deren eine Entscheidung Rechtskraft erlangt, abzusehen, selbst wenn dadurch ein Verstoß dieser Entscheidung gegen Gemeinschaftsrecht abgestellt werden könnte.