12.05.2006 Verfahrensrecht

EuGH: Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen einer Schuldnergesellschaft ist nach objektiven und zugleich für Dritte feststellbaren Kriterien zu bestimmen


Schlagworte: Insolvenzrecht, Hauptinsolvenzverfahren, Tochtergesellschaft, Muttergesellschaft
Gesetze:

Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (ABl. L 160, S. 1)

Mit Urteil vom 02.05.2006 zur GZ C-341/04 hat sich der EuGH mit dem Haupinsolvenzverfahren und der Frage des Mittelpunktes der hauptsächlichen Interessen des Schuldners befasst:

Die irische Gesellschaft Eurofood IFSC Ltd ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Parmalat SpA (einer Gesellschaft italienischen Rechts). In der Folge wurde in Irland und Italien über Eurofood ein Insolvenzverfahren eröffnet.

Dazu der EuGH: Das nach Art 3 Abs 1 der Verordnung vom zuständigen Gericht des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat, eröffnete sog "Hauptinsolvenzverfahren" hat insofern universelle Wirkungen, als es sich auf in allen Mitgliedstaaten, in denen die Verordnung anwendbar ist, belegenes Vermögen des Schuldners erstreckt. Art 3 Abs 1 stellt klar, dass bei Gesellschaften bis zum Beweis des Gegenteils vermutet wird, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist. Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen ist nach objektiven und zugleich für Dritte feststellbaren Kriterien zu bestimmen. Diese Objektivität und diese Möglichkeit der Feststellung durch Dritte sind erforderlich, um Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit bei der Bestimmung des für die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens zuständigen Gerichts zu garantieren. Folglich lässt sich bei der Bestimmung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen einer Schuldnergesellschaft die vom Gemeinschaftsgesetzgeber zugunsten ihres satzungsmäßigen Sitzes aufgestellte widerlegliche Vermutung nur entkräften, wenn objektive und für Dritte feststellbare Elemente belegen, dass in Wirklichkeit die Lage nicht derjenigen entspricht, die die Verortung am genannten satzungsmäßigen Sitz widerspiegeln soll. Dies könnte insbesondere bei einer "Briefkastenfirma" der Fall sein, die im Gebiet des Mitgliedstaats, in dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz befindet, keiner Tätigkeit nachgeht. Die Tatsache allein, dass ihre wirtschaftlichen Entscheidungen von einer Muttergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat kontrolliert werden oder kontrolliert werden können, reicht jedenfalls nicht aus, um die mit der Verordnung aufgestellte Vermutung zu entkräften.