18.08.2006 Verfahrensrecht

EuGH: Ein Kläger, kann in einem Mitgliedstaat eine Klage gegen einen in diesem Staat wohnhaften Erstbeklagten und einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Zweitbeklagten auch dann erheben, wenn die Klage gegen den Erstbeklagten schon zum Zeitpunkt ihrer Erhebung nach nationalem Recht unzulässig ist; die besonderen Zuständigkeitsregeln der Verordnung 44/2001 sind strikt auszulegen


Schlagworte: Zivilverfahrensrecht, besondere Zuständigkeit, Klagezurückweisung, Konkursverfahren
Gesetze:

Art 6 Nr 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1), § 6 Abs 1 KO

Mit Urteil vom 13.07.2006 zur GZ C-103/05 hat sich der EuGH mit der besonderen Zuständigkeit befasst:

Eine in Liechtenstein niedergelassene Gesellschaft erhob Klage auf Zahlung beim Bezirksgericht Bezau gegen einen Österreicher und gegen die Fa Kiesel mit Geschäftssitz in Deutschland, welche für den Österreicher gebürgt hatte. Das Bezirksgericht Bezau wies in Anwendung von § 6 Abs 1 KO die Klage gegen den Österreicher zurück, da das Konkursverfahren über dessen Vermögen eröffnet war, das zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht abgeschlossen war.

Kiesel bestritt die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts und trug vor, dass sich die Klägerin für die Zuständigkeit des Bezirksgerichts Bezau nicht auf Art 6 Nr 1 der Verordnung berufen könne, da die Klage gegen den Österreicher in Anwendung von § 6 Abs 1 KO als unzulässig zurückgewiesen worden sei.

Dazu der EuGH: Die Verordnung sieht besondere Zuständigkeitsregeln für abschließend aufgeführte Fälle vor, in denen eine Person vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats - je nach Lage des Falles - verklagt werden kann oder muss. Dabei sind die besonderen Zuständigkeitsregeln nach stRsp strikt auszulegen; eine Auslegung über die ausdrücklich in der Verordnung vorgesehenen Fälle hinaus ist unzulässig. Dies verlangt ua, dass die besonderen Zuständigkeitsregeln so ausgelegt werden, dass ein informierter, verständiger Beklagter vorhersehen kann, vor welchem Gericht er außerhalb seines Wohnsitzstaats verklagt werden könnte. Bei der besonderen in Art 6 Nr 1 der Verordnung vorgesehenen Zuständigkeit kann ein Beklagter, wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden, vor dem Gericht des Ortes, an dem einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat, verklagt werden, "sofern zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten". Hierzu ist festzustellen, dass die genannte Vorschrift weder eine ausdrückliche Verweisung auf die Anwendung nationaler Vorschriften noch die Voraussetzung enthält, dass eine Klage gegen mehrere Beklagte nach nationalem Recht zum Zeitpunkt ihrer Erhebung in Bezug auf jeden von ihnen zulässig sein müsste.