01.09.2006 Verfahrensrecht

OGH: Wird im erstinstanzlichen Verfahren die Leerformel, das Begehren werde auf jeden erdenklichen Rechtsgrund gestützt, angefügt und erst im Berufungsverfahren konkretisiert, widerspricht dies dem Neuerungsverbot


Schlagworte: Zivilverfahrensrecht, Rechtsgrund, Einwendung, Berufungsverfahren, Neuerungsverbot, Streitgegenstand
Gesetze:

§ 482 Abs 1 ZPO

In seinem Beschluss vom 27.06.2006 zur GZ 5 Ob 43/06v hat sich der OGH mit dem Neuerungsverbot befasst:

Die Klägerin begehrte für die aus dem festgestellten Unfall erlittenen Schmerzen aus dem Titel des (deliktischen) Schadenersatzes. Im Übrigen stützte sie ihre Ansprüche auf alle anderen in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen. Im Berufungsverfahren stützte sie ihren Anspruch auf vertragliche Haftung.

Dazu der OGH: In jüngster Rechtsprechung vertritt der OGH die Ansicht, dass die Berücksichtigung eines neuen, den geltend gemachten Anspruch begründenden Rechtsgrundes oder einer neuen Einwendung durch das Berufungsgericht einen Verstoß gegen § 482 Abs 1 ZPO bildet. Anders als im Fall der Ergänzung des Verfahrens durch Aufnahme neuer Beweismittel oder durch die Feststellung neu behaupteter Tatsachen im Zuge einer Beweisergänzung werde durch die Bejahung eines neu geltend gemachten Anspruchs die gründliche, das heißt die richtige Beurteilung der "Streitsache" im Sinn des § 503 Z 2 ZPO gehindert. "Streitsache" sei der durch das Vorbringen der Parteien in erster Instanz abgegrenzte Streitgegenstand. Maßgebend für den Entscheidungsspielraum des Gerichts sei der vom Kläger vorgetragene Sachverhalt, das für den geltend gemachten Anspruch angegebene Tatsachensubstrat. Die Verletzung des Neuerungsverbots durch das Berufungsgericht kann demnach vom OGH aufgegriffen werden, wenn sie zu einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Streitsache geführt hat, indem neue Ansprüche oder Einreden berücksichtigt wurden.