01.03.2007 Verfahrensrecht

OGH: Die autonome Auslegung der Begriffe "Vertrag" und "unerlaubte Handlung" führt dazu, dass es für die Zuordnung von Ansprüchen aus vorvertraglicher Haftung zum Gerichtsstand nach Nr 1 oder Nr 3 des Art 5 EuGVVO nicht darauf ankommen kann, ob derartige Ansprüche in den jeweiligen nationalen Rechtsordnungen dem Vertrags- oder dem Deliktsrecht zugeordnet werden


Schlagworte: Internationales Zivilverfahrensrecht, Wahlgerichtsstand, culpa in contrahendo
Gesetze:

Art 5 EUGVVO

In seinem Beschluss vom 21.12.2006 zur GZ 6 Ob 276/06s hat sich der OGH mit der Frage befasst, ob Ansprüche aus culpa in contrahendo als vertragliche im Sinn der Nr 1 oder als deliktische im Sinn der Nr 3 des Art 5 EuGVVO zu qualifizieren sind:

OGH: Nach stRsp des EuGH sind die in Art 5 Nr 1 und 3 verwendeten Begriffe "Vertrag" und "unerlaubte Handlung" autonom auszulegen, weil nur dadurch die Ziele der EuGVVO, eine Vereinheitlichung der Zuständigkeitsregeln vorzunehmen und den Rechtsschutz für die in der Gemeinschaft niedergelassenen Personen zu verbessern, erreicht werden können. Ein potenzieller Kläger soll nämlich feststellen können, welches Gericht für seinen Anspruch in Frage kommt, einem Beklagten soll leicht erkennbar sein, vor welchem Gericht er geklagt werden kann. Die autonome Auslegung der Begriffe "Vertrag" und "unerlaubte Handlung" führt aber auch dazu, dass es für die Zuordnung von Ansprüchen aus vorvertraglicher Haftung zum Gerichtsstand nach Nr 1 oder Nr 3 des Art 5 EuGVVO nicht darauf ankommen kann, ob derartige Ansprüche in den jeweiligen nationalen Rechtsordnungen dem Vertrags- oder dem Deliktsrecht zugeordnet werden.

Der Begriff "unerlaubte Handlung" im Sinn von Art 5 Nr 3 EuGVVO bezieht sich nach stRsp des EuGH auf Klagen, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen Vertrag im Sinn von Art 5 Nr 1 EuGVVO anknüpfen. Art 5 Nr 1 EuGVVO erfordert zwar nicht den Abschluss eines Vertrags, wohl aber die Feststellung einer Verpflichtung, weil sich die Zuständigkeit des nationalen Gerichts in einem solchen Fall nach dem Ort bestimmt, an dem die Verpflichtung erfüllt wurde oder zu erfüllen wäre. Der Begriff "Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag" kann daher jedenfalls nicht so verstanden werden, dass er eine Situation erfasst, bei der es an einer von einer Partei gegenüber der anderen freiwillig eingegangenen Verpflichtung fehlt. Demzufolge kann eine Haftung, die sich gegebenenfalls daraus ergeben könnte, dass ein bestimmter Vertrag nicht geschlossen wurde, nicht vertraglicher Natur sein. Fehlt es daher an einer von einer Partei gegenüber einer anderen bei Vertragsverhandlungen freiwillig eingegangenen Verpflichtung und liegt möglicherweise ein Verstoß gegen Rechtsvorschriften, namentlich gegen jene Vorschriften vor, wonach die Parteien bei diesen Verhandlungen nach Treu und Glauben handeln müssen, ist Verfahrensgegenstand einer Klage, mit der die vorvertragliche Haftung des Beklagten geltend gemacht wird, eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung im Sinn des Art 5 Nr 3 gleichgestellt ist.