17.01.2008 Verfahrensrecht

OGH: Aufhebung / Einschränkung der getroffenen Verfügung iZm Schutz vor Gewalt in der Familie

Die Beweisergebnisse des Strafverfahrens sind neue Beweismittel, die nur eine Änderung der Beweislage herbeiführen können, die aber keinen Aufhebungsgrund iSd § 399 Abs 1 Z 2 EO bildet


Schlagworte: Exekutionsrecht, einstweilige Verfügung, Aufhebung / Einschränkung der getroffenen Verfügung, Schutz vor Gewalt in der Familie, Beweisergebnisse des Strafverfahrens, Freispruch
Gesetze:

§ 399 EO, § 382b EO

GZ 3 Ob 199/07x, 23.10.2007

Die durch ihre Mutter vertretenen gefährdeten Parteien sind die ehelichen minderjährigen Kinder des Antragsgegners, dem mit der gem § 382b EO erlassenen EV aufgetragen wurde, die eheliche Wohnung und deren unmittelbare Umgebung zu verlassen und dorthin nicht zurückzukehren und weiters der Kontakt mit den Kindern und der Aufenthalt im und beim Kindergarten verboten wurde.

Der Gegner der gefährdeten Parteien beantragte die Aufhebung der EV mit der Begründung, er sei nach einem umfangreichen Strafverfahren vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs einer Unmündigen (§ 206 Abs 1 StGB) und vom Vorwurf des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses (§ 212 Abs 1 Z 1 StGB) rechtskräftig freigesprochen worden. Die Verhältnisse hätten sich damit geändert. Das strafgerichtliche Urteil entfalte Bindungswirkung.

OGH: Die angefochtene Ablehnung der Aufhebung der gem § 382b EO zunächst auf drei Monate befristeten und nach Einbringung der Scheidungsklage bis zur rechtskräftigen Beendigung des Scheidungsverfahrens zulässigerweise verlängerten EV steht im Einklang mit der von der Lehre zumindest teilweise gebilligten stRsp, dass die Aufhebung einer EV iSd § 399 Abs 1 Z 2 EO einen Wegfall des Sicherungsbedürfnisses infolge geänderter Verhältnisse voraussetzt, eine Änderung der Beweislage ist kein Aufhebungsgrund. Lediglich für das Unterhaltsverfahren wird vom OGH auch die Ansicht vertreten, dass das Erlöschen des Unterhaltsanspruchs zum Gegenstand eines Aufhebungsantrags gemacht werden könne. Von einem Erlöschen des Anspruchs der Kinder auf körperliche Sicherheit kann hier auch nach dem erfolgten Freispruch des Vaters im Strafverfahren nicht gesprochen werden.

Die Frage, ob der Freispruch des Vaters auch eine Änderung der Gefährdungslage der Kinder bewirkte, ist zu verneinen: Primär sind die Beweisergebnisse des Strafverfahrens neue Beweismittel, die nur eine Änderung der Beweislage herbeiführen können, die keinen Aufhebungsgrund bildet. Diese Rsp steht im Einklang mit der ständigen Judikatur, dass im Provisorialverfahren keine analoge Anwendung der Wiederaufnahmsklage stattfindet. Bei Weiterbestehen eines Tatverdachts hat sich trotz des erfolgten Freispruchs an der Gefährdungslage der Kinder nichts geändert.

Im Provisorialverfahren kann sich der Revisionsrekurswerber auch nicht mit Erfolg auf die von ihm relevierte Unschuldsvermutung des Art 6 Abs 2 MRK und die dazu ergangene Judikatur des EGMR berufen. Die Bindung des Zivilgerichts an einen Freispruch im Strafverfahren bedürfte einer gesetzlichen Grundlage, wie sie nur bei einem Schuldspruch aus der materiellen Rechtskraft des Strafurteils abgeleitet werden kann. Der Unterschied zu einem Zweifelsfreispruch liegt auf der Hand. Bei einem Schuldspruch steht fest, dass der Täter die Tat vorwerfbar begangen hat. Bei einem Freispruch im Zweifel ist der Sachverhalt offen geblieben. Hier den Verletzten von der Verfolgung seiner zivilrechtlichen Ansprüche auszuschließen, bedeutete einen nicht begründbaren Eingriff in Grundrechte (hier in die körperliche und seelische Integrität der gefährdeten Partei). Die Unschuldsvermutung des Art 6 Abs 2 MRK darf auch nach einem erfolgten Freispruch im Zweifel nicht zu einem Rechtsschutzdefizit dahin führen, dass sogar Grundrechtsverletzungen vor einem Zivilgericht nicht mehr verfolgt oder Sicherungsmittel verfügt werden dürften. Der Freispruch im Zweifel und seine Begründung können daher im Einzelfall nur ein Indiz dafür sein, dass sich der Tatverdacht verringert hat, mehr aber nicht. Dieser Umstand betrifft nur die Beweislage, nicht aber die Gefährdungslage.