28.02.2008 Verfahrensrecht

OGH: Zur Bindungswirkung einer Vorentscheidung, mit der der Bestand einer Gegenforderung verneint wird

Auch die Verneinung des Bestands einer Gegenforderung wird nur bis zur Höhe der Klageforderung der Rechtskraft teilhaft; eine darüber hinausgehende Wirkung gibt es in Folgeprozessen nicht


Schlagworte: Erkenntnisverfahren, Widerklage, Gegenforderung, Aufrechnung, Rechtskraft, Bindungswirkung
Gesetze:

§ 411 ZPO

GZ 4 Ob 87/07h, 13.11.2007

Der Kläger (ehemals Beklagte) wendet im Vorprozess eine Gegenforderung ein, die höher ist als die Klageforderung und das Gericht stellt das Zurechtbestehen dieser Forderung in einem geringeren Umfang fest als die Klageforderung. Der Kläger möchte nunmehr die Gegenforderung im darüber hinausgehenden Umfang geltend machen.

OGH: Aufgrund des § 411 Abs 1 Satz 2 ZPO bewirkt die Bejahung einer Gegenforderung Rechtskraft nur bis zur Höhe der zu Recht bestehenden Klageforderung. Entscheidet das Gericht über die Gegenforderung in einem darüber hinausgehenden Umfang, so erwächst die Entscheidung insofern nicht in Rechtskraft.

Fraglich ist allerdings, ob diese Überlegungen auch für die hier zu beurteilende Situation gelten. Wendet der Beklagte eine Gegenforderung ein, die höher ist als die Klageforderung, und stellt das Gericht das Zurechtbestehen dieser Forderung in einem geringeren Umfang fest als die Klageforderung, dann musste es für diese Entscheidung notwendigerweise die gesamte Gegenforderung prüfen. Die Beurteilung der Gegenforderung konnte zwar im konkreten Verfahren wegen des Einredecharakters der Aufrechnung nur bis zur Höhe der zu Recht bestehenden Klageforderung rechtliche Bedeutung haben. Es wäre jedoch denkbar, wegen der ohnehin erfolgten Prüfung der gesamten Gegenforderung eine weitergehende Bindungswirkung für Folgeprozesse anzunehmen.

Gegen die erweiterte Rechtskraftwirkung der Verneinung der Gegenforderung sprechen der eindeutige Wortlaut von § 411 Abs 1 Satz 2 ZPO. Zudem ist die Aufrechnungseinrede anders als die Widerklage kein Angriffs-, sondern ein Verteidigungsmittel. Das Interesse des Aufrechnenden ist ausschließlich auf die Abwehr der Klageforderung gerichtet; die Gegenforderung ist (nur) Mittel zu diesem Zweck. Daher ist es legitim, wenn eine Beschränkung der Rechtskraftwirkung dem Beklagten die Möglichkeit bietet, sein prozessuales Verhalten nur an der drohenden oder bereits erfolgten Verurteilung aufgrund der Klageforderung auszurichten, ohne ein weiteres Risiko - nämlich die vollständige "Aberkennung" seiner Gegenforderung - beachten zu müssen. Letzteres wäre nur gerechtfertigt, wenn der Beklagte auch die Möglichkeit in Anspruch nähme, einen Titel über die gesamte Gegenforderung zu erwirken. Dafür müsste er aber Widerklage erheben.

Über die Gegenforderung wird daher bei einer Aufrechnung unter Umständen in einem Verfahren entschieden, das geringere Rechtsschutzmöglichkeiten bietet, als wenn die Gegenforderung mit Klage geltend gemacht würde. Diese möglichen Unterschiede im Verfahren sprechen dagegen, Aufrechnung und (Wider-)Klage in ihren Wirkungen (teilweise) gleich zu behandeln.

Aus diesen Gründen hält der Senat daran fest, dass auch die Verneinung des Bestands einer Gegenforderung nur bis zur Höhe der Klageforderung der Rechtskraft teilhaft wird. Eine darüber hinausgehende Wirkung - welcher Art auch immer - gibt es in Folgeprozessen nicht.