24.04.2008 Verfahrensrecht

OGH: Kein Anscheinbeweis des Zugangs eines E-Mails mittels eines E-Mail-Sendeprotokolls

Mittels eines E-Mail-Sendeprotokolls wird nicht der Anscheinsbeweis, dass ein E-Mail zugegangen ist, erbracht


Schlagworte: Erkenntnisverfahren, Beweis, Anscheinsbeweis, E-Mail, Sendeprotokoll
Gesetze:

§ 272 ZPO

GZ 2 Ob 108/07g, 29.11.2007

Nach Auffassung des Erstgerichts wird durch das Sendeprotokoll eines E-Mails weder der Beweis noch der Anscheinsbeweis des Zugangs des E-Mails im Sinn eines typischen formelhaften Geschehensablaufes erbracht.

OGH: Der Anscheinsbeweis ist die Verschiebung des Beweisthemas von der tatbestandsmäßig geforderten Tatsache auf eine leichter erweisliche Tatsache, die mit ihr in einem typischen Erfahrungszusammenhang steht. Der Anscheinsbeweis ist nur zulässig, wenn eine typische formelhafte Verknüpfung zwischen der tatsächlich bewiesenen Tatsache und dem gesetzlich geforderten Tatbestandselement besteht; er darf nicht dazu dienen, Lücken der Beweisführung durch bloße Vermutungen auszufüllen. Eine Verschiebung der Beweislast kann nur dann in Betracht kommen, wenn ein allgemein, also für jedermann in gleicher Weise bestehender Beweisnotstand gegeben ist und wenn objektiv typische, also auf allgemein gültigen Erfahrungssätzen beruhende Geschehensabläufe für den Anspruchswerber sprechen. Der Anscheinsbeweis beruht darauf, dass bestimmte Geschehensabläufe typisch sind und es daher wahrscheinlich ist, dass auch im konkreten Fall ein derartiger gewöhnlicher Ablauf und nicht ein atypischer gegeben ist. Der Anscheinsbeweis ist dort ausgeschlossen, wo der Kausalablauf durch den individuellen Willensentschluss eines Menschen bestimmt werden kann. Der bloße Verdacht eines bestimmten Ablaufes, der auch andere Verursachungsmöglichkeiten offen lässt, gibt für den Beweis des ersten Anscheins keinen Raum. Die allgemeinen Beweislastregeln finden eine Einschränkung dort, wo eine Beweisführung von der an sich dazu verpflichteten Partei billigerweise nicht erwartet werden kann, weil es sich um Umstände handelt, die allein in der Sphäre der Gegenseite liegen und daher nur ihr bekannt und damit auch nur durch sie beweisbar sind.

Zur Frage des prima-facie-Beweises sind nur die Grundsätze revisibel, nicht aber die Frage, ob ein typischer Geschehensablauf für den Kläger spricht, oder die Frage, ob ein anderer Geschehensablauf vom Beklagten wahrscheinlich gemacht werden konnte. Diese Fragen gehören zur unanfechtbaren Beweiswürdigung. Ob nach den festgestellten Umständen ein Tatbestand vorliegt, der eine Verschiebung des Beweisthemas und der Beweislast im Sinn des sogenannten Anscheinsbeweises zulässt, ist nach herrschender Ansicht eine revisible Rechtsfrage.

Da es dem Absender eines E-Mails möglich ist, sich den Empfang desselben auf einem sicheren Kommunikationsweg bestätigen zu lassen, etwa durch ein den Empfang des E-Mails bestätigendes Antwortmail des Empfängers, durch telefonische Rückfrage und anderes mehr, vertritt der erkennende Senat, dass mittels eines E-Mail-Sendeprotokolls der Anscheinsbeweis des Zugangs eines E-Mails nicht erbracht werden kann. Dass die Absendung des betreffenden E-Mails durch den Kläger an den Beklagten feststeht, begründet nicht den Anscheinsbeweis dahingehend, die Beklagte habe dieses E-Mail auch erhalten.