05.06.2008 Verfahrensrecht

OGH: Zur Bindung des Vertragspartners der Partei, die Vergleich widerrufen hat, an seine Erklärung, den Vergleich abschließen zu wollen

Eine über den Vergleichswiderruf hinausreichende Bindung des Vertragspartners des Widerrufenden an die im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses vorliegende Erklärung, den Vergleich abschließen zu wollen, ist nur dann anzunehmen, wenn der Vertragspartner das Offert (neuerlich) ausdrücklich oder schlüssig annimmt und die Annahmeerklärung dem Widerrufenden zugekommen ist


Schlagworte: Gerichtlicher Vergleich, Widerruf, Bindung
Gesetze:

§ 204 ZPO, § 862, § 863 ABGB

GZ 2 Ob 136/07z, 24.01.2008

Die Partei widerruft einen gerichtlichen Vergleich. Erst nach Ablauf der Widerrufsfrist wird der Widerruf zurückgezogen. Der Schriftsatz, mit dem der Vergleichswiderruf durch den Beklagten zurückgezogen wurde, wurde den Klagevertretern am 26. 11. 2004 zugestellt. Am 5. 12. 2005 bezieht sich der Kläger auf die materiellrechtlichen Wirkungen des Vergleichs.

OGH: Der rechtzeitig erhobene Widerruf eines gerichtlichen Vergleichs hindert den Eintritt der prozessrechtlichen Wirkung des Vergleichs (und damit das Entstehen eines Exekutionstitels). Einer später abgegebenen Erklärung, den Widerruf zurückzuziehen und die Wirkungen des Vergleichs wieder eintreten zu lassen, kommt nur rechtsgeschäftlicher Charakter zu, sie kann aber nicht mehr die durch den Widerruf beseitigte Wirksamkeit des Vergleichs wiederherstellen. Da im vorliegenden Fall die Zurückziehung des Widerrufs erst nach Ablauf der Widerrufsfrist erklärt wurde, wurde er als gerichtlicher Vergleich nicht wirksam.

Es gibt keine gesetzliche Grundlage dafür, eine über den Vergleichswiderruf hinausreichende Bindung des Vertragspartners des Widerrufenden an die im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses vorliegende Erklärung, den Vergleich abschließen zu wollen, anzunehmen. Mit der vom Beklagten erklärten Zurückziehung des Vergleichswiderrufs wurde der Vergleich nicht perfekt, sondern es liegt darin ein Offert des Beklagten an den Kläger auf neuerlichen Abschluss desselben Vergleichs. Dieses Offert müsste zum (neuerlichen) Zustandekommen des Vergleichs vom Kläger ausdrücklich oder schlüssig iSd § 863 ABGB angenommen werden. Der Kläger argumentiert in seinem Rekurs sinngemäß, er habe sich im (weiteren) erstinstanzlichen Verfahren ausdrücklich auf die materiellen Wirkungen des Vergleichs berufen, worin zumindest eine konkludente Annahmeerklärung iSd § 863 ABGB zu sehen sei. Er habe sich an den Vergleich selbst binden wollen, zumal er den Vergleich ja nicht widerrufen habe. Er habe sich auch nach Zustellung des Schriftsatzes über die Zurückziehung des Vergleichswiderrufs nicht gegen den Eintritt der Wirkungen dieses Vergleichs ausgesprochen. Vielmehr habe er durch die Einholung der Bestätigung der Rechtswirksamkeit und Exekutionsführung kundgetan, dass er sich sehr wohl an den Vergleich gebunden fühle. Dass diesen Verhaltensweisen des Klägers der objektive Erklärungswert zukommen kann, er wolle das in der Zurückziehung des Widerrufs durch den Beklagten gelegene Anbot auf Abschluss des ursprünglichen Vergleichs annehmen, ist nicht zweifelhaft.

Der Kläger übersieht dabei jedoch, dass seine Annahmeerklärung innerhalb der von den §§ 862 f ABGB vorgegebenen Fristen abgegeben und dem Beklagten auch zugekommen sein müsste. Gemäß § 862 ABGB muss der Antrag (das Offert) innerhalb der vom Antragsteller bestimmten Frist angenommen werden. Mangels einer solchen muss der einem Anwesenden oder mittels Fernsprechers von Person zu Person gemachte Antrag sogleich, der sonst einem Abwesenden gemachte Antrag längstens bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden, in dem der Antragsteller unter der Voraussetzung, dass sein Antrag rechtzeitig angekommen sei, bei rechtzeitiger und ordnungsmäßiger Absendung der Antwort deren Eintreffen erwarten darf; widrigenfalls ist der Antrag erloschen. Gemäß § 862a ABGB gilt die Annahme als rechtzeitig, wenn die Erklärung innerhalb der Annahmefrist dem Antragsteller zugekommen ist. Trotz ihrer Verspätung kommt jedoch der Vertrag zustande, wenn der Antragsteller erkennen musste, dass die Annahmeerklärung rechtzeitig abgesendet wurde, und gleichwohl seinen Rücktritt dem andern nicht unverzüglich anzeigt.

Der Schriftsatz, mit dem der Vergleichswiderruf durch den Beklagten zurückgezogen wurde, wurde den Klagevertretern am 26. 11. 2004 zugestellt. Die erste Bezugnahme des Klägers auf die materiellrechtlichen Wirkungen des Vergleichs findet sich erst in seinem beim Erstgericht am 5. 12. 2005 eingelangten Schriftsatz. Diese mehr als ein Jahr nach Zustellung des Schriftsatzes über die Zurückziehung des Widerrufs abgegebene Erklärung des Klägers liegt zweifellos nicht mehr innerhalb der Bindungsfrist.