24.07.2008 Verfahrensrecht

OGH: Voraussetzungen für die Erteilung eines Obsorgedekretes nach § 107 Abs 1 Z 1 2. Fall AußStrG

Die Erteilung eines Obsorgedekretes nach § 107 Abs 1 Z 1 2. Fall AußStrG setzt voraus, dass die Obsorgeverteilung zwischen den Eltern unstrittig ist


Schlagworte: Außerstreitverfahren, Obsorgeverfahren, Obsorgedekret, Amtsbestätigung
Gesetze:

§ 107 AußStrG

GZ 6 Ob 30/08t, 9.5.2008

In einem von den Eltern geführten Obsorgeverfahren gingen diese übereinstimmend von der alleinigen Obsorge der Mutter aus, was vom Vater damals nicht bestritten wurde. Das Erstgericht lehnte zunächst einen Antrag der Mutter auf Ausstellung einer Bestätigung, wonach sie die alleinige Obsorge habe, ab. Dem neuerlichen Antrag der Mutter wurde stattgegeben. Der Vater stellte in dem - noch nicht rechtskräftig beendeten - Obsorge-(und Besuchsrechts-)verfahren den Antrag, ihm die Obsorge zu übertragen.

OGH: Mit § 107 Abs 1 Z 1 2. Fall AußStrG hat der Gesetzgeber zunächst auf jene Fälle Bedacht genommen, in denen es zwar eine gerichtliche Obsorgeentscheidung gibt, diese jedoch lediglich in der Genehmigung einer zwischen den Parteien geschlossenen Vereinbarung besteht; eine begründungslose Ausfertigung eines solchen Beschlusses wäre dann aber nicht ausreichend, um die Vertretungsverhältnisse klarzulegen. § 107 Abs 1 Z 1 2. Fall AußStrG soll auch jene Fälle erfassen, in denen ein ex lege mit der Obsorge betrauter Elternteil das Bedürfnis nach einer die Obsorgebetrauung belegenden Urkunde hat; auch für solche Fälle sei die Ausstellung einer eigenen Urkunde erforderlich, um allfällige Unklarheiten zu beseitigen und die neu verliehenen oder verbleibenden Befugnisse Dritten gegenüber jederzeit nachweisen zu können. Das "Obsorgedekret" nach § 107 Abs 1 Z 1 2. Fall AußStrG stellt in dieser Variante aber nur dann eine - dem § 186 Abs 1 AußStrG vergleichbare - Amtsbestätigung über aktenmäßig bei Gericht bekannte Tatsachen dar, wenn die Obsorgeverteilung zwischen den Eltern unstrittig ist. Nach dieser Bestimmung hat nämlich zwar der Antragsteller ein über das bloße Informationsbedürfnis hinaus gehendes rechtliches Interesse an der Ausstellung einer derartigen Amtsbestätigung zu behaupten und zu bescheinigen; durch sie kann aber ein der Rechtskraft fähiger Ausspruch über einen strittigen Rechtsschutzantrag nicht erfolgen. Damit wäre zwar die Abweisung eines Antrags auf Ausstellung eines derartigen "Obsorgedekrets" anfechtbar, dessen Ausstellung jedoch nicht, wenn die Frage der ex lege bestehenden Obsorgeverteilung tatsächlich unstrittig ist.

Soll hingegen eine ex lege bestehende Obsorgeverteilung in einem Fall urkundlich bestätigt werden, in dem die Eltern unterschiedlicher Auffassung sind und jeder Elternteil für sich ein bestehendes (Teil- bzw Mit-)Obsorgeverhältnis in Anspruch nimmt, kann nicht mehr lediglich von einer Amtsbestätigung gesprochen werden. Inhaltlich wird hier ja letztlich über einen Rechtsschutzantrag entschieden, der dahin lautet festzustellen, wer von den Elternteilen - allenfalls in welchem Ausmaß - tatsächlich ex lege mit der Obsorge betraut ist.

Im vorliegenden Verfahren kann nicht davon ausgegangen werden, dass mit der Amtsbestätigung des Erstgerichts lediglich eine - zwischen den Beteiligten unstrittige - ex lege bestehende Obsorgeverteilung bestätigt werden sollte; tatsächlich ist die Frage der Obsorgeverteilung zwischen den Eltern strittig. Die "Amtsbestätigung" des Erstgerichts erweist sich daher als anfechtbar, weil sie inhaltlich über einen strittigen Rechtsschutzanspruch abspricht.