21.08.2008 Verfahrensrecht

OGH: Ordnungsstrafe wegen Verletzung der dem Gericht schuldigen Achtung gem § 86 ZPO

Allgemeine Ausführungen


Schlagworte: Ordnungsstrafe, Verletzung der dem Gericht schuldigen Achtung
Gesetze:

§ 86 ZPO, § 220 ZPO

GZ 3 Ob 102/08h, 11.06.2008

Der Rekurswerber führte ua aus: "Dieser miese Beschluss wird im Volksmund schlicht als Leichenflederei bezeichnet. ... Übrigens leben die betroffenen Richter einschließlich der Rekursrichter des LG. Ibk. noch in Hitlerzeiten ... Insgesamt möchte ich angeben, daß meine Mutter ohne Zwangseinweisung ins Altersheim nach Angaben der Ärzte noch 3 bis 5 Jahre länger gelebt hätte ! Der Altweiberschreck Dr. W***** gehört meiner Meinung nach entweder ins Narrenhaus oder in ein Zuchthaus !"

Bei Dr. W***** handelt es sich um eine am Erstgericht ernannte Richterin. Das Rekursgericht verhängte über den Rekurswerber eine Ordnungsstrafe von 500 EUR.

OGH: Nach ständiger und einhelliger Rechtsprechung ist gegen die Verhängung einer Ordnungsstrafe durch das Rechtsmittelgericht der Rekurs unabhängig von der Höhe der verhängten Ordnungsstrafe, einer allfälligen Wertgrenze für die Erhebung des Rechtsmittels oder dem Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage zulässig. Dieser Grundsatz gilt auch im Verfahren außer Streitsachen.

Weil die Ordnungsstrafe vom Rekursgericht erstmals verhängt wurde, besteht für den dagegen erhobenen Rekurs keine Anwaltspflicht, sodass hier das Fehlen einer Anwaltsunterschrift auf dem Rechtsmittel nicht schadet.

Nach § 22 AußStrG sind die Bestimmungen der ZPO über die Beleidigungen in Schriftsätzen und über Strafen sinngemäß anzuwenden. Gem § 86 ZPO kann gegen eine Partei, welche die dem Gericht schuldige Achtung in einem Schriftsatz durch beleidigende Ausfälle verletzt oder welche in einem Schriftsatz den Gegner ... beleidigt, unbeschadet der deshalb etwa eintretenden strafgerichtlichen Verfolgung vom Gerichte eine Ordnungsstrafe verhängt werden. Durch die Verhängung von Ordnungsstrafen soll sichergestellt werden, dass sich die am Verfahren beteiligten Personen - auch in ihrem eigenen Interesse - einer sachlichen und unpersönlichen Ausdrucksweise bedienen. Durch die - verfassungskonforme und im Einklang mit der EMRK stehende (Ordnungsstrafen nach der ZPO fallen nicht unter § 6 EMRK) - Bestimmung des § 86 ZPO soll keineswegs eine sachlich berechtigte Kritik verhindert, sondern nur jede an das Gericht gerichtete Eingabe, deren Inhalt die dem Gericht schuldige Achtung verletzt, sanktioniert werden.

Wenn der Rekurswerber seine Äußerungen nunmehr als "Überreaktion" darzustellen versucht, so ist ihm zu entgegnen, dass nach stRsp eine Verletzung der dem Gericht schuldigen Achtung nicht nur dann mit einer Ordnungsstrafe zu belegen ist, wenn sie in der Absicht begangen wurde, das Gericht zu verunglimpfen, sondern auch dann, wenn sie einem Mangel an Überlegung entsprang. Es kommt nicht auf die Absicht des Verfassers des Schriftsatzes an, sondern auf die Beurteilung der Äußerung nach objektiven Gesichtspunkten. Die objektive Beurteilung und nicht die Absicht des Verfassers entscheidet, ob der Schriftsatz beleidigende Ausfälle enthält. Ebenso kommt es auch nicht darauf an, dass die Formulierungen von einem juristischen Laien stammen.

Ausreichend konkrete Schuldausschließungsgründe liegen nicht vor. Nur bei Unzurechnungsfähigkeit des Schriftenverfassers hat eine Bestrafung zu unterbleiben.

Dass die verhängte Strafe die finanziellen Möglichkeiten des Rekurswerbers übersteigen würde, ist im Rechtsmittel nicht vorgetragen worden. Zur nun ausdrücklichen Entschuldigung des Rekurswerbers ergibt sich Folgendes: Strittig ist, ob die Zivilgerichte rechtskräftig verhängte Ordnungsstrafen gnadenweise erlassen können, jedoch wird eine derartige Nachsicht einer Geldstrafe in jenen Fällen verneint, in denen die Strafe gesetzlich vorgeschrieben ist. Auch käme eine gnadenweise Nachsicht einer Ordnungsstrafe jedenfalls nur dem Gericht zu, das die Strafe verhängt hat.