21.08.2008 Verfahrensrecht

OGH: Zur Bestimmung der erfüllten oder zu erfüllenden Verpflichtung iSd Art 5 EuGVVO

Unter der erfüllten oder zu erfüllenden Verpflichtung iSd Art 5 EuGVVO ist grundsätzlich diejenige Verpflichtung zu verstehen, die den Gegenstand der Klage bildet


Schlagworte: Internationales Zivilprozessrecht, internationale Zuständigkeit, örtliche Zuständigkeit, Erfüllungsort, Dienstleistung, Verpflichtung
Gesetze:

Art 5 EuGVVO

GZ 6 Ob 63/08w, 08.05.2008

Der Kläger ist Handelsvertreter für den in Deutschland ansässigen Beklagten "mit dem Gebiet in Wien" gewesen. Da er den Verkauf eines Fertigteilhauses an einen Dritten vermittelt hat, der Beklagte aber die Zahlung der dem Kläger zustehenden Vermittlungsprovision verweigert, macht er einen Provisionsansprüche aus der Vermittlung eines Fertigteilhauses geltend. Fraglich ist, welches Gericht örtlich zuständig ist, wenn die für dieses Geschäft zu verrichtenden Tätigkeiten schwerpunktmäßig in Vösendorf lagen, der Kläger über Wunsch des Kunden auch eine Liegenschaft in Wien besichtigt hat.

OGH: Art 5 Nr 1 EuGVVO eröffnet einen Wahlgerichtsstand am Erfüllungsort. Mangels einer anders lautenden Vereinbarung ist der Erfüllungsort der Verpflichtung für den Verkauf beweglicher Sachen der Ort in einem Mitgliedsstaat, an dem sie nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen, für die Erbringung von Dienstleistungen hingegen der Ort in einem Mitgliedsstaat, an dem sie nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen. Art 5 Nr 1 lit b EuGVVO enthält - im Unterscheid zu Art 5 Nr 1 EuGVÜ - eine autonome Bestimmung des Erfüllungsorts für Kauf- und Dienstleistungsverträge. Für diese Vertragstypen wird auf den Ort der Lieferung der Sachen bzw der Erbringung der Dienstleistung abgestellt. Damit sieht die EuGVVO für die beiden praktisch wichtigsten Vertragstypen einen einheitlich, autonom bestimmten Erfüllungsort vor.

Unter der erfüllten oder zu erfüllenden Verpflichtung ist grundsätzlich diejenige Verpflichtung zu verstehen, die den Gegenstand der Klage bildet. Klagsgegenstand ist im vorliegenden Fall die Provisionsforderung des Klägers gegenüber der Beklagten. Die für dieses Geschäft zu verrichtenden Tätigkeiten lagen aber schwerpunktmäßig in Vösendorf, befand sich doch dort der Schreibtisch des Klägers und wurde dort der Vertrag abgeschlossen. Dass der Kläger über Wunsch der Kunden auch eine Liegenschaft in Wien besichtigte, tritt demgegenüber in den Hintergrund.

Ein derartiges Abstellen auf den Schwerpunkt der Tätigkeit hat der EuGH auch bei der Bestimmung des Art 5 Nr 1 lit b erster Spiegelstrich EuGVVO für den Fall mehrerer Lieferorte in einem Mitgliedsstaat vorgenommen. Demnach ist das Gericht zuständig, in dessen Sprengel sich der Ort der nach wirtschaftlichen Kriterien zu bestimmenden Hauptlieferung befindet. Erst wenn sich der Ort der Hauptlieferung nicht feststellen lässt, kann der Kläger den Beklagten vor dem Gericht des Lieferorts seiner Wahl in Anspruch nehmen.