21.08.2008 Verfahrensrecht

OGH: Anerkennung und Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Entscheidung trotz Fehler bei Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstückes?

Im Geltungsbereich der EuGVVO reicht ein rein formaler Zustellfehler im Unterschied zum EuGVÜ/LGVÜ nicht aus, um die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung der Entscheidung zu verhindern


Schlagworte: Internationales Zivilprozessrecht, Anerkennung, Vollstreckbarerklärung, Versagungsgründe, verfahrenseinleitende Schriftstück, fehlerhafte Zustellung,
Gesetze:

Art 34 Nr 2 EuGVVO, Art 43 EuGVVO, Art 44 EuGVVO, Art 45 EuGVVO, Art 27 Nr 2 EuGVÜ/LGVÜ

GZ 3 Ob 34/08h, 08.05.2008

Dem Beklagten wurde das verfahrenseinleitende Schriftstück zugestellt, die Zustellung entsprach allerdings nicht dem Gesetz. Der Kläger beantragte in Österreich nun die Vollstreckbarerklärung des tschechischen Urteils.

OGH: Gem Art 45 erster Satz EuGVVO darf die Vollstreckbarerklärung von dem mit einem Rechtsbehelf nach Art 43 oder Art 44 befassten Gericht nur aus einem der in den Art 34 und 35 aufgeführten Gründe versagt oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung wird nach Art 34 Nr 2 EuGVVO nicht anerkannt, wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich nicht verteidigen konnte, es sei denn, der Beklagte hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte. Während die Vorgängerbestimmung des Art 27 Nr 2 LGVÜ/EuGVÜ die - nach dem Recht des Ursprungsstaats zu prüfende - Ordnungsgemäßheit der Zustellung verlangte, stellt nun Art 34 Nr 2 EuGVVO nur mehr darauf ab, dass das verfahrenseinleitende Schriftstück dem Beklagten in einer Weise zugestellt wurde, dass er sich verteidigen konnte. Damit wurde der Verweigerungsgrund wegen mangelhafter Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks bei Säumnisentscheidungen entschärft und in Reaktion auf die sehr schuldnerfreundliche Rechtsprechung des EuGH das Erfordernis der "ordnungsgemäßen" Zustellung nach dem Recht des Ursprungsstaats fallengelassen und durch die Wendung ersetzt "dass er sich (nicht) verteidigen konnte", die Vollzugsgerichte verpflichtet, autonome Mindeststandards für wirksame Zustellungen aufzustellen. Maßgeblich ist somit die (bloß) tatsächliche Wahrung der Verteidigungsrechte. Um zu verhindern, dass sich ein Beklagter, der sich im Ursprungsstaat nicht auf das Verfahren eingelassen hat, unter Berufung auf einen Zustellfehler "missbräuchlich" der Vollstreckung entzieht, soll im Geltungsbereich der EuGVVO ein "rein formaler" Zustellfehler nicht mehr ausreichen, um die Anerkennung zu verhindern. Sind Zustellfehler unterlaufen, ist zu fragen, ob sie so gravierend waren, dass die Verteidigungsmöglichkeiten unzulässig beschränkt wurden. Handelt es sich jedenfalls um bloß "nebensächliche" Zustellfehler, welche die Verteidigungsmöglichkeiten nicht beeinträchtigten, so liegt nach dem Willen der Verfasser der EuGVVO kein Versagungsgrund nach Art 34 Nr 2 EuGVVO vor.