18.09.2008 Verfahrensrecht

OGH: Zur Frage, ob Rechtshängigkeit im Ausland eingetreten ist

Die Frage, ob und wann Rechtshängigkeit im Ausland eingetreten ist, ist grundsätzlich nach der ausländischen lex fori zu beantworten; dies gilt uneingeschränkt jedenfalls dann, wenn die nach der ausländischen lex fori bereits mit Einbringung Rechtshängigkeit bewirkende Klage auch zeitlich vor der inländischen Klage eingebracht wurde


Schlagworte: Erkenntnisverfahren, internationale Streitanhängigkeit, ausländische Rechtshängigkeit, lex fori
Gesetze:

§ 232 ZPO, § 233 ZPO

GZ 8 Ob 18/08t, 16.06.2008

Nachdem der Beklagte bei einem serbischen Gericht eine Ehescheidungsklage gegen die Klägerin eingebracht hat, erhob die Klägerin gegen den Beklagten eine Ehescheidungsklage vor einem österreichischen Gericht. Das Erstgericht wies die Klage aufgrund Vorliegens des Prozesshindernisses der internationalen Rechtshängigkeit zurück, da nach serbischen Recht Streitanhängigkeit eingetreten sein. Das Rekursgericht sprach demgegenüber aus, dass die Frage, ob das Prozesshindernis der internationalen Streitanhängigkeit vorliege, ausschließlich nach österreichischem Recht zu beurteilen sei.

OGH: Nach Auffassung des OGH überzeugt die vom Rekursgericht vertretene Auffassung, die ausländische Rechtshängigkeit sei ausschließlich nach österreichischem Zivilprozessrecht zu beurteilen, weder aus dogmatischen noch aus praktischen Überlegungen: Dogmatisch steht diesem Ansatz entgegen, dass dadurch eine nach ausländischem Recht zu bejahende Rechtshängigkeit ignoriert wird. Dieses Ergebnis lässt sich mit dem Grundgedanken nicht vereinen, dass ein Verfahren über ein im Ausland zu erwartendes und anerkennungsfähiges Urteil ein Prozesshindernis darstellt. Praktisch erhöht die Beurteilung der Rechtshängigkeit ausschließlich nach dem innerstaatlichen Prozessrecht die Gefahr von Doppelprozessen - ein Resultat, das durch Beachtung der ausländischen Rechtshängigkeit gerade verhindert werden soll. Es ist daher auch für den österreichischen Rechtsbereich grundsätzlich der Rechtsprechung des BGH zu folgen, dass die Frage, ob und wann Rechtshängigkeit im Ausland eingetreten ist, nach der ausländischen lex fori zu beantworten ist. Uneingeschränkt gilt dieser Grundsatz jedenfalls dann, wenn die nach der ausländischen lex fori bereits mit Einbringung Rechtshängigkeit bewirkende Klage auch zeitlich vor der inländischen Klage eingebracht wurde. Dann nämlichist die "Überholungsgefahr" nicht gegeben. Ob der umgekehrte Fall (zeitlich früher eingebrachte, aber noch nicht zugestellte Inlandsklage wird von einer zeitlich später eingebrachten Auslandsklage "überholt") eine Ausnahme von diesem Grundsatz zuließe oder aber ob - wie der BGH mit dem beachtlichen Argument der Notwendigkeit klarer Verfahrensregeln meint - in diesem Fall nur unter bestimmten Umständen der Einwand der Arglist zu gewähren wäre, bedarf hier keiner abschließenden Auseinandersetzung.

Der Beurteilung der ausländischen Rechtshängigkeit nach der ausländischen lex fori steht auch der vom Rekursgericht erwähnte Umstand nicht entgegen, dass vor österreichischen Gerichten ausschließlich österreichisches Zivilverfahrensrecht zur Anwendung gelangen kann: Wenngleich richtig ist, dass in kollisionsrechtlicher Hinsicht das Vorliegen der negativen Prozessvoraussetzung der Streitanhängigkeit nach österreichischem Recht zu prüfen ist, weil vor österreichischen Gerichten nur inländisches Verfahrensrecht zur Anwendung zu kommen hat, gilt dieser Grundsatz nur für die unmittelbare Anwendung von Verfahrensvorschriften, also im hier interessierenden Zusammenhang für die Frage, welche verfahrensrechtliche Behandlung bei Bejahung des Prozesshindernisses geboten ist. Ob hingegen in einem anderen Land nach dessen Prozessvorschriften Rechtshängigkeit eingetreten ist, stellt eine bloße Vorfragenbeurteilung und somit keine unmittelbare Anwendung ausländischer Verfahrensregeln dar.