02.10.2008 Verfahrensrecht

OGH: Zur internationale Zuständigkeit für die Erlassung einstweiliger Maßnahmen nach der EuGVVO

Im Anwendungsbereich der EuGVVO kann sich die internationale Zuständigkeit für die Erlassung einstweiliger Maßnahmen sowohl aus Art 31 EuGVVO iVm dem autonomen Recht als auch aus der Zuständigkeit für die Hauptsache nach Art 2 bis 24 EuGVVO ergeben


Schlagworte: Europäisches Zivilprozessrecht, internationale Zuständigkeit, einstweilige Maßnahme, Kartellrecht
Gesetze:

Art 2 ff EuGVVO, Art 31 EuGVVO, § 387 EO, § 48 KartG, § 58 Abs 1 KartG, § 7 NVG

GZ 16 Ok 3/08, 16.07.2008

In einer Kartellrechtsache beantragt die gefährdete Partei die Erlassung einer einstweiligen Verfügung. Der Gegner der gefährdeten Partei wendet die internationale Unzuständigkeit Österreichs ein.

OGH: Nach Art 31 EuGVVO könnten die im Recht eines Mitgliedstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen einschließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind, bei den Gerichten dieses Staats auch dann beantragt werden, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache das Gericht eines anderen Mitgliedstaats aufgrund dieser Verordnung zuständig ist. Art 31 EuGVVO verweist zur Frage der internationalen Zuständigkeit österreichischer Gerichte zum Erlass einstweiliger Maßnahmen auf das nationale österreichische Recht. Daneben kommt aber auch dem für die Hauptsache nach den Art 2 bis 24 EuGVVO zuständigen Gericht eine Zuständigkeit für die Anordnung einstweiliger oder sichernder Maßnahmen zu. Die gefährdete Partei hat daher insoweit ein Wahlrecht, ob sie einen von der EuGVVO oder vom österreichischen Recht zur Verfügung gestellten Gerichtsstand in Anspruch nehmen möchte. Ungeschriebene Voraussetzung für die Anordnung einstweiliger Maßnahmen nach Art 31 EuGVVO ist es, dass zwischen dem Gerichtsstand der beantragten Maßnahmen und der gebietsbezogenen Zuständigkeit des Mitgliedstaats des angerufenen Gerichts eine "reale Verknüpfung" besteht. Dieses Erfordernis ist bisher freilich nicht präzise konkretisiert. Das Erfordernis der "realen Verknüpfung" kann jedenfalls nicht dahin verstanden werden, dass sich in jedem Fall einstweilige Maßnahmen nur auf Verhalten im Inland beziehen könnten.

Im vorliegenden Fall kann das österreichische Gericht nach Art 5 Nr 3 EuGVVO (Gerichtsstand der unerlaubten Handlung) zuständig sein. Als Delikte im Sinne dieser Bestimmung gelten nämlich auch Kartelldelikte. Nach herrschender Auffassung hat der Kläger bei diesem Gerichtsstand die Wahl zwischen dem Handlungs- und dem Erfolgsort. Der Erfolgsort ist dort zu lokalisieren, wo das geschützte Rechtsgut verletzt wird; nicht darunter fallen Folgeschäden.

Selbst wenn das Erstgericht jedoch nach der EuGVVO für die Entscheidung in der Hauptsache nicht zuständig wäre, könnte sich seine Zuständigkeit für die Erlassung des angefochtenen Beschlusses im Provisorialverfahren nach Art 31 EuGVVO aus dem nationalen Recht ergeben. Für Kartellverfahren (in weiterem Sinn) bestehen keine ausdrücklichen nationalen Zuständigkeitsvorschriften. Nach § 7 Abs 4 NVG kann das Kartellgericht zur Abwendung eines drohenden unwiederbringlichen Schadens auf Antrag eine vorläufige Untersagung oder eine vorläufige Anordnung erlassen. Auch § 48 KartG (iVm § 7 Z 1 NVG) enthält insoweit keine nähere Regelung, sondern sieht lediglich vor, dass, soweit die Voraussetzungen für die Abstellung einer Zuwiderhandlung bescheinigt sind, das Kartellgericht auf Antrag einer Partei die erforderlichen Aufträge zu erteilen hat. § 58 Abs 1 KartG sieht vor, dass das OLG Wien als Kartellgericht für das ganze Bundesgebiet zuständig ist. Dabei handelt es sich - wie sich aus der Überschrift des ersten Abschnitts des fünften Hauptstücks des KartG "Kartellgericht und Kartellobergericht - Gerichtsorganisation" in einer jeden Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt - um keine Zuständigkeitsvorschrift, sondern um eine gerichtsorganisatorische Vorschrift. Der normative Gehalt des § 58 Abs 1 KartG erschöpft sich daher darin, dass in Österreich lediglich ein Kartellgericht erster Instanz eingerichtet ist. Hingegen kann für die Wahrnehmung der Zuständigkeit bei Sachverhalten mit Auslandsberührung daraus nichts abgeleitet werden.

§ 387 Abs 1 EO kann als Präzisierung des § 7 Abs 1 NVG und des § 48 KartG herangezogen werden. Demnach besteht die Zuständigkeit des Kartellgerichts für die Erlassung einstweiliger Maßnahmen jedenfalls dann, wenn bei diesem auch ein entsprechendes Hauptverfahren anhängig ist. Daraus ergibt sich, dass das Erstgericht jedenfalls zu Recht seine Zuständigkeit für das Provisorialverfahren in Anspruch genommen hat.