18.12.2008 Verfahrensrecht

OGH: Zum Anwendungsbereich des Art 6 EuEheVO

Der Beklagte ist nur dann nicht durch Art 6 EuEheVO geschützt, wenn er weder Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist noch einen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat hat


Schlagworte: Europäisches Zivilprozessrecht, internationale Zuständigkeit, Ehesachen, Restzuständigkeit
Gesetze:

Art 6 EuEheVO

GZ 7 Ob 155/08g, 11.09.2008

OGH: Der Zweck des Art 6 EuEheVO liegt darin, für die Zuständigkeiten nach Art 3 bis 5 EuEheVO ua auch dann den Anspruch auf "Ausschließlichkeit" zu stellen, wenn ein Verfahren gegen einen Ehegatten, der "Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats" ist (Art 6 lit b EuEheVO), vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats (als des Aufenthalts- oder Heimatstaats) geführt werden soll. Sieht doch diese Bestimmung ausdrücklich vor, dass ein Ehegatte "nur unter den Voraussetzungen der Art 3 bis 5 EuEheVO in einem anderen Mitgliedstaat" (als seinem Aufenthaltsstaat oder dem Staat, dessen Staatsbürgerschaft er innehat) geklagt werden kann. Der Beklagte wäre also dann nicht durch Art 6 EuEheVO geschützt, wenn er weder Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats wäre noch einen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat hätte. Nur in diesem Fall wäre dem Ehegatten mangels Vorliegens der Voraussetzungen für die "Ausschließlichkeit der in den Art 3 bis 5 EuEheVO festgelegten Zuständigkeiten, die die Zuständigkeitsvorschriften des nationalen Rechts verdrängen" - durch Art 7 EuEheVO die nationale Restzuständigkeit nach § 76 Abs 2 Z 1 JN eröffnet. Dies trifft hier jedoch nicht zu, weil der Beklagte zwar in einem Drittstaat wohnt, aber Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist. Davon abgesehen würde für Art 6 EuEheVO gar kein (sinnvoller) Anwendungsbereich verbleiben, wollte man diesen auf die im letzten Halbsatz dieses Artikels erfassten Verfahren reduzieren, in denen die betroffenen Ehegatten (doch) in einem "anderen" Mitgliedstaat (als nach Art 6 lit a und b EuEheVO) geklagt werden könnten. Einer solchen Auslegung entsprechend würde Art 6 EuEheVO nämlich nur noch jene Fälle regeln, in denen Verfahren (zwar) "nur nach Maßgabe der Art 3, 4 und 5 EuEheVO" (aber doch) vor den Gerichten eines "anderen" Mitgliedstaats geführt werden dürften. Dann gäbe es aber lediglich Ausnahmen von dem mit Art 6 EuEheVO bezweckten Schutz, weil die Sachverhalte, die ansonsten (mangels Erfüllung der in Art 6 letzter Halbsatz iVm Art 3, 4 und 5 EuEheVO normierten Voraussetzungen) der Sperrwirkung des Art 6 lit a und b EuEheVO (also ihrem eigentlichen Schutzbereich) unterfielen, von dieser Bestimmung gar nicht erfasst wären. Es liegt auf der Hand und bedarf daher keiner weiteren Begründung, dass eine solche Auslegung, wonach kein sinnvoller Anwendungsbereich für die anzuwendende (Schutz-)Bestimmung verbliebe, nicht in Betracht kommt; sind doch Gesetze jeweils so auszulegen, dass sie einen Anwendungsbereich haben. Art 6 EuEheVO erlangt also va dann Bedeutung, wenn die internationale Zuständigkeit des Gerichts gem Art 7 EuEheVO (Restzuständigkeit) nach dem nationalen Recht des Gerichtsstaats bestimmt wird. Die durch Art 6 EuEheVO angeordnete Ausschließlichkeit der Art 3, 4 und 5 EuEheVO ist auch in diesem Fall zu beachten. Gegen einen Beklagten (Antragsgegner), der zumindest eine der alternativen Voraussetzungen des Art 6 lit a oder b EuEheVO erfüllt, darf in einem anderen Mitgliedstaat ein Verfahren daher nur aufgrund der Zuständigkeitsregeln der EuEheVO geführt werden. Insofern (und nur insofern) werden die Bestimmungen der JN über die "inländische Gerichtsbarkeit" in Ehesachen (§ 76 Abs 2, § 114a Abs 4 JN) verdrängt.

Diese Beurteilung entspricht auch der in Deutschland herrschenden Auffassung zur Reichweite des durch Art 6 EuEheVO gewährten Schutzes: Auch danach wird der exklusive Charakter der Art 3 bis 5 EuEheVO durch Art 6 EuEheVO festgeschrieben und zugleich auf den Aufenthalts- bzw Heimatstaat (des beklagten Ehegatten) eingeschränkt, ohne jedoch damit den grundsätzlichen Vorrang der Zuständigkeiten der EuEheVO gegenüber denen des autonomen Rechts in Frage zu stellen.