04.06.2009 Verfahrensrecht

OGH: Zu den Folgen der Verletzung der Aufklärungspflicht

Da die Aufklärungspflicht des Prozessgegners stets ein Prozessvorbringen der behauptungs- und beweisbelasteten Partei voraussetzt und das Fragerecht nach § 184 ZPO der Sachverhaltsaufklärung dienen soll, kann sich eine Verletzung der prozessualen Aufklärungspflicht auch nur im Rahmen der Sachverhaltsfeststellung auswirken


Schlagworte: Erkenntnisverfahren, Aufklärungspflicht, Verletzung
Gesetze:

§ 184 ZPO

GZ 6 Ob 44/09b, 26.03.2009

OGH: Nach § 184 Abs 1 ZPO kann jede Partei zur Aufklärung des Sachverhalts über alle den Gegenstand des Rechtsstreites oder der mündlichen Verhandlung betreffenden, für die Prozessführung erheblichen Umstände an die anwesende Gegenpartei Fragen stellen (lassen). Diese Anordnung hätte keinen Sinn, wenn es der befragten Partei frei stünde, auf derartige Fragen nicht, unvollständig oder unrichtig zu antworten, ohne prozessuale Nachteile befürchten zu müssen. Es muss vielmehr davon ausgegangen werden, dass grundsätzlich eine Obliegenheit zur Offenlegung prozessrelevanter, dem Gegner sonst nicht zugänglicher, Umstände besteht, deren Verletzung der betreffenden Partei nachteilige Folgen bringen kann. Wenn nun § 184 Abs 1 ZPO von der Aufklärung des Sachverhalts über alle den "Gegenstand des Rechtsstreites .... betreffenden", für die Prozessführung erheblichen Umstände spricht, so wird damit zugleich klargestellt, dass eine Umkehr der Behauptungslast insoweit nicht eintritt, sondern sich jede Partei bei der Ausübung ihres Fragerechts an den durch das Prozessvorbringen und die Prozessanträge abgesteckten Rahmen zu halten hat.

Fragen nach § 184 Abs 1 ZPO sollen somit auch nicht erst jegliche Substantiierung des Tatsachenvorbringens der beweisbelasteten Partei ermöglichen, sondern setzen vielmehr voraus, dass entsprechende Tatsachenbehauptungen bereits aufgestellt wurden. Es liegt allerdings in der Natur der Sache, dass vor der Aufklärung durch den Prozessgegner eine vollständige und detaillierte Substantiierung nicht verlangt werden kann, sodass es idR genügt, den (allenfalls nur mit ausreichendem Grund vermuteten) Sachverhalt in einer solchen Weise zu behaupten, dass kein unschlüssiges Vorbringen vorliegt und eine ausreichende Basis für darauf aufbauende Fragen an den Gegner gegeben ist. Sobald der Sachverhalt zumindest in Grundzügen geklärt ist, werden - je nach Lage des Falls - konkretere Prozessbehauptungen zu fordern sein. Dabei kommt es durchaus in Betracht, dass die beweisbelastete Partei mehrere denkbare Alternativen behauptet, die jeweils eine geeignete Grundlage für die angestrebte Rechtsfolge bilden.

Erblickt man nun in § 184 ZPO jene Vorschrift, die als maßgebliche Grundlage für die Aufklärungsobliegenheit der nicht beweisbelasteten Partei über dem Gegner nicht zugängliche Tatsachen- und Beweislast heranzuziehen ist, so ist festzuhalten, dass eine Verletzung dieser Aufklärungspflicht jedenfalls insoweit nicht vorliegen kann, als der (beweispflichtige) Prozessgegner Fragen, die diese Aufklärungspflicht idR erst auslösen, nicht gestellt und auch nicht auf andere Weise erkennbar Aufklärung verlangt hat. Ob eine Partei durch ihre Antwort auf eine gem § 184 Abs 1 ZPO gestellte Frage ihrer Aufklärungspflicht nachgekommen ist, ist von der jeweiligen Konstellation abhängig und kann allgemein nicht beantwortet werden; maßgeblich sind ihre (objektiven und subjektiven) Erkenntnismöglichkeiten.

Geht man nun davon aus, dass die Aufklärungspflicht des Prozessgegners stets ein - je nach den Umständen allgemeineres oder konkreteres - Prozessvorbringen der behauptungs- und beweisbelasteten Partei voraussetzt und das Fragerecht nach § 184 ZPO der Sachverhaltsaufklärung dienen soll, kann sich eine Verletzung der prozessualen Aufklärungspflicht auch nur im Rahmen der Sachverhaltsfeststellung auswirken. Ein anderes Ergebnis wäre nur über eine Umkehr der Behauptungs- und Beweislast zu erreichen, die allerdings von der bisherigen Judikatur und der überwiegenden Lehre abgelehnt wird.